»Die Stadt wurde einfach nur schlimmer«
Von Christophe Immer
Sie sind im Pariser Anti-Olympia-Bündnis aktiv. Im Juli letzten Jahres fanden in der französischen Hauptstadt die Olympischen Sommerspiele statt. Hat sie sich mittlerweile davon erholt?
»Paris 2024« hat irgendwie funktioniert – was das internationale Bild angeht. Verrückt zu sehen, wie mittlerweile in der ganzen Welt die Vorstellung existiert, die Spiele seien »grün« und inklusiv gewesen. Verrückt, wie es gelungen ist, diese Erzählung, dieses Image zu verbreiten. Aber in den Straßen von Paris, wo ich arbeite, sieht das etwas anders aus. Uns war ein Vermächtnis der Spiele versprochen worden, das einer integrativeren Stadtgesellschaft. Aber Paris wurde einfach nur schlimmer. Noch ausschließender und gewalttätiger gegenüber Obdachlosen. Das ist ein direktes Resultat der Spiele.
An vielen Orten, an denen Menschen ihre Zelte aufschlugen, sind jetzt Blocks und Stacheldraht. Informelle Besetzungen, mit denen Menschen der Kälte der Straße entfliehen, werden von der Polizei geräumt – so wie wir es erst kürzlich wieder sahen. Die Räumung war äußerst gewalttätig.
Das positive Bild der Spiele, das vermittelt wurde, entspricht nicht der Realität auf der Straße.
Le revers de la médaille, Ihr Bündnis, sprach von einer »nettoyage social«, einer »sozialen Säuberung« im Zusammenhang mit den Spielen. Was meinen Sie damit?
»Soziale Säuberungen« sind Teil der Spiele, nicht nur in Paris. Es gibt einen Report der Vereinten Nationen, der aufzeigt, dass zwischen 1980 und 2007, wegen sieben olympischer Spiele, 2,5 Millionen Menschen vertrieben und umgesiedelt wurden. Es ist also nichts Neues, jedoch etwas, dass das IOC lieber verschweigt. In Paris wurden innerhalb zweier Jahre 20.000 Menschen vertrieben: Sexarbeitende, Migranten, Obdachlose, Drogennutzer.
Bei seinem Auftritt vor dem Sportausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses im März sprach Pierre Rabadan, Olympiaorganisator im Pariser Rathaus, von lediglich 300 Obdachlosen, denen »geholfen« worden sei.
Die Zahl stimmt. Auch. 300 Obdachlosen, die in unmittelbarer Nähe olympischer Sportstätten im Zentrum Paris lebten, wurde mittels eines städtischen Programms tatsächlich geholfen. Eine Feigenblattaktion, die gerne als Argument gegen unsere Vorwürfe genutzt wird. Aber all die anderen, die, die beispielsweise nicht direkt neben dem Fußballstadion schliefen, wurden einfach vertrieben. Tausende wurden in Triagezentren außerhalb von Paris verschleppt, um sie aus der Stadt zu haben. Im Vorfeld der Spiele – und um die »sozialen Säuberungen« vorzubereiten – wurde ein äußerst aggressives Antibesetzungsgesetz verabschiedet und quasi alle Squats in Paris und den umliegenden Regionen geräumt. Hinzu kam ein äußerst striktes Immigrationsgesetz. Es geht eben nicht nur um die Spiele: Die waren irgendwann vorbei. Die Gesetze blieben. Und die Gesellschaft wurde deutlich ausschließender, exklusiver.
Was ist mit den Sicherheitsmaßnahmen und der Einschränkung von Grundrechten? Große Bereiche der Pariser Innenstadt wurden mit KI-Unterstützung überwacht, angeblich lediglich für Olympia.
Sie wird immer noch genutzt. Vor den Spielen hörten wir, dies sei eine Ausnahme, lediglich für die Spiele. Danach hörten wir dann, die Maßnahmen sollten bleiben. Nur um zu verdeutlichen, was da läuft: Ich arbeite bei einer NGO und bin immer in unserem weißen Van unterwegs. Wir sind Ärzte, also wirklich nicht sonderlich gefährlich. Im März hatten 500 Migranten ein Theater besetzt, an einem Dienstag morgen wurde geräumt. Am Abend zuvor fuhren wir zu einem Ort, um einige der Leute medizinisch zu behandeln. Die Polizei erwartete uns dort und durchsuchte unser Auto. Dienstag war die Räumung, mit Prügeln und Tränengas. Dienstag abend mussten wir woanders hin – medizinische Hilfe, Essen etc. Sobald wir geparkt hatten, waren auch da schon Polizisten. Und gaben zu, sie hätten uns mit den Kameras verfolgt. Das ist Paris nach den Spielen. Die Polizei gibt zu, uns mit dem Überwachungssystem zu tracken, um unsere Arbeit zu behindern.
Die Pro-Olympia-Propaganda spricht von transparenten Budgets, dem Einhalten des Haushaltes: Was sind die finanziellen Folgen für die Stadt, für die Bevölkerung?
Eine ganze Menge öffentlicher Gelder wurde dafür verwendet. Der internationale Druck hatte dafür gesorgt, dass für Notunterkünfte das größte Budget aller Zeiten aufgewendet wurde. Millionen, nur um Leute während der Spiele in Turnhallen unterzubringen. Für dieses Jahr sei das Budget erschöpft, heißt es nun. Bedürftige sind jetzt einfach nicht mehr wichtig.
»Paris 2024« wurde als grüne, ökologische Spiele wahrgenommen. Rabadan stellte als nachhaltiges Prestigeprojekt die Sanierung der Seine heraus – er selbst sei bereits dreimal darin geschwommen und sei noch immer bei bester Gesundheit.
1,4 Milliarden Euro kostete die Sanierung der Seine. Mit dem Geld … stellen Sie sich mal vor, was man damit hätte machen können, gegen Obdachlosigkeit zum Beispiel … Nein, eine gute Sache, die Seine saniert zu haben. Ja, manche ökologischen Projekte wurden realisiert, aber wenn man sich das gründlicher anschaut, war das nur Cover. Für den Neubau einer Schwimmhalle wurden alte Gartenanlagen im Norden von Paris zerstört, neue Straßen wurden gebaut – eine direkt neben einer Grundschule. Um die Luftbelastung zu reduzieren, wurde die Schule mit Luftfilteranlagen ausgerüstet. Krank werden die Schüler dennoch.
Es wurde behauptet, Coca-Cola, einer der Sponsoren der Olympischen Spiele, würde auf Plastik verzichten – und dann war auf einem Video von Greenpeace zu sehen, wie diese Ökobecher hinter dem Tresen aus Plastikflaschen befüllt werden. Es ist verrückt, zu glauben, die Olympischen Spiele könnten »grün« sein. Man kann in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht derart viele Leute zusammenbringen, mit derart vielen Sponsoren, die noch mal ganz eigene Interessen haben, und davon ausgehen, das könne irgendwie ökologisch korrekt sein. In Paris war es das nicht.
Was ist Ihr Rat für Aktivisten, die sich gegen die Ausrichtung Olympischer Spiele einsetzen? Hier in Deutschland hat der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz seine Unterstützung für eine deutsche Bewerbung bekundet.
Zweierlei: Wir haben zu spät angefangen, erst anderthalb Jahre vor den Spielen. Zu spät für eine NOlympia-Kampagne. Unser Ansatz war daher: Wir mögen die Werte Olympias, also Solidarität, Gastfreundschaft, Freundschaft zwischen Nationen. Und nehmen Euch beim Wort. Macht also eure Versprechen einer inklusiven Gesellschaft und positiver sozialer Auswirkungen der Spiele wahr. Wenn es heißt, die Spiele seien grün, muss die Frage sein: wie?
Und: Fangt früh an. Früher als wir. Keine Spiele – das muss das Ziel sein. Sobald sich eine Stadt bewirbt, muss sich Widerstand formieren. Breite Bündnisse, so breit wie möglich. Und Aktionen. Wir hatten da so einige, und sobald man sich das »Olympia«-Label aneignet, ist Öffentlichkeit gewiss. Kampagnenpolitik gegen die Spiele kann auch echt Spaß machen.
Paul Alauzy arbeitet bei der NGO Médecins du Monde (Ärzte der Welt), die in Paris Obdachlosen, Flüchtlingen und anderen marginalisierten Gruppen mit mobilen Kliniken medizinische Hilfe leistet. Er ist zudem Sprecher des Pariser Anti-Olympia-Bündnisses »le revers de la médaille« (Die Kehrseite der Medaille).
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