EU-Chipstüte bleibt leer
Von Jörg Kronauer
Die Aufholversuche der EU bei der Produktion von Halbleitern scheitern: Das bestätigt der Europäische Rechnungshof in einem neuen Bericht über die Chipstrategie des Staatenkartells. Demnach wird die EU ihr ehrgeiziges Ziel, ihren Anteil am Weltmarkt für Halbleiter von zuletzt nicht einmal mehr zehn Prozent auf mindestens 20 Prozent zu steigern, klar verfehlen und allenfalls einen Anteil von 11,7 Prozent erreichen. Wolle man auf 20 Prozent kommen, dann müsse man die Produktionskapazitäten der Branche bis 2030 wenigstens vervierfachen, hielt am Montag Annemie Turtelboom, ein Mitglied des Rechnungshofs, fest. Dies aber sei zur Zeit »in keinem Bereich« in Sicht. Dementsprechend werde sich die Position der Branche in der globalen Konkurrenz »wohl nicht deutlich verbessern«.
Dabei sind die Resultate des Rechnungshofs noch eher schonend; der Verband der deutschen Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) sagte Ende 2024 einen Rückgang des EU-Weltmarktanteils auf 5,9 Prozent im Jahr 2045 voraus. Am Montag warnte der ZVEI, zusätzliche Probleme könnten dadurch entstehen, dass China aktuell harte Exportkontrollen für seltene Erden verhängt hat; beim Import der Rohstoffe, die für die Halbleiterproduktion unverzichtbar sind, ist Deutschland von der Volksrepublik abhängig.
Im Mittelpunkt der Untersuchung des Europäischen Rechnungshofs stand der European Chips Act, den die EU im September 2023 mit gewohntem Stolz auf den Weg gebracht hatte. Die Halbleiterbranche solle mit bis zu 43 Milliarden Euro subventioniert werden, hieß es. Gut drei Milliarden werde die EU aus ihrem Haushalt bereitstellen, der Rest solle von den Mitgliedstaaten oder von privaten Investoren finanziert werden. Seither sind zwei bedeutende Vorhaben gescheitert: der Plan des US-Konzerns Wolfspeed, im Saarland ein zwei Milliarden Euro schweres Werk für Chips aus Siliziumkarbid zu errichten, sowie der Bau eines Werks des US-Konzerns Intel bei Magdeburg für 30 Milliarden Euro; ein Drittel davon sollte von staatlichen Stellen gezahlt werden. Beide Projekte wurden mittlerweile ad acta gelegt.
Zustande kommen voraussichtlich das Halbleiterwerk, das TSMC aus Taipei gemeinsam mit Infineon, Bosch sowie der niederländischen NXP in Dresden baut – für zehn Milliarden Euro, davon fünf Milliarden Subventionen –, sowie die fünf Milliarden Euro schwere Erweiterung des Dresdner Infineon-Werks, in das eine weitere Staatsmilliarde fließt. ST-Microelectronics, in Genf ansässig, aber faktisch von Italien und Frankreich kontrolliert, investiert rund fünf Milliarden Euro – davon zwei aus Subventionen – in ein Werk in Catania auf Sizilien, und im norditalienischen Novara investiert Silicon Box aus Singapur 3,2 Milliarden Euro, davon 1,3 Milliarden aus Subventionen. Ob ein Gemeinschaftsprojekt von ST-Microelectronics und dem US-Konzern Globalfoundries in Crolles bei Grenoble zustande kommt – Volumen: 7,5 Milliarden Euro –, ist noch ungewiss.
Während die EU weiter vor sich hin schwächelt, ist China dabei, seinen nächsten Erfolg zu erzielen. Wie das Wall Street Journal berichtet, geht der jüngste von Huawei entwickelte Chip für künstliche Intelligenz (KI), der Ascend 910D, in Kürze in die Testphase. Er soll die Fähigkeit besitzen, mit den leistungsfähigsten gängigen KI-Chips des US-Branchenführers Nvidia im wesentlichen gleichzuziehen. Von den Vorgängermodellen Ascend 910B und 910C will Huawei allein in diesem Jahr mindestens 800.000 an chinesische KI-Konzerne ausliefern und verhandelt nach den jüngsten US-Sanktionen, die den Export weiterer Nvidia-Chips in die Volksrepublik untersagen, über weitere Aufträge. Auch wenn Insider die Huawei-KI-Halbleiter noch für etwas schwächer als die Nvidia-Modelle halten, hat die Aufholjagd der chinesischen Branche rasant an Fahrt gewonnen. Nebenbei: KI-Chip-Hersteller, die mit Nvidia oder Huawei auf Augenhöhe wären, sind in Europa nicht wirklich in Sicht.
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