Solo im Sonnenschein
Von Holger Römers
Am Sonntag ging im Straßenradsport die sogenannte Klassikersaison zu Ende, die vor allem bei den Männern Spannung und Spektakel im Übermaß geboten hatte. Das machte die 111. Austragung von Lüttich–Bastogne–Lüttich am Sonntag sozusagen als Antiklimax bewusst: Bob Jungels (Ineos Grenadiers) sorgte zwar schon nach knapp der Hälfte der 252 Kilometer langen Strecke für eine Überraschung, als er an einem der vielen, für dieses Eintagesrennen typischen Ardennenhügel aus dem Peloton davonfuhr. Angesichts eines Rückstands von gut fünf Minuten auf die (chancenlose) Ausreißergruppe des Tages war allerdings rätselhaft, was der Sieger von 2018 bezweckte. Dass sein Kollege Tobias Foss wenig später aufschloss, gab immerhin Anlass zur Hoffnung, dass Konkurrenten zu einer gewagten Reaktion verleitet würden.
Doch die blieb aus. Tadej Pogačar (UAE Team Emirates – XRG), der Sieger von 2024 und 2021, ließ seine Mannschaft anschließend so wachsam fahren, dass sie die Angriffe, die Julian Alaphilippe (Tudor Pro Cycling Team) oder Pello Bilbao (Bahrain Victorious) mit einzelnen Beschleunigungen 82 beziehungsweise 74 Kilometer vorm Ziel beabsichtigt haben mochten, sogleich erstickte. Nachdem Pogačar am Ostersonntag eine frühe Attacke Alaphilippes höchstselbst gekontert, aber eine Solofahrt nicht bis ins Ziel des Amstel Gold Race durchgehalten hatte, wählte er nun eine konservative Taktik. Sein Entschluss mochte vom Sieg beim 89. Flèche Wallonne befördert worden sein, den er am Mittwoch in denkbar konventioneller Manier erzielt hatte: Nicht einmal scheußliches Regenwetter hatte verhindert, dass das Rennen wie immer auf dem kurzen, aber unvorstellbar steilen Schlussanstieg zur Mur de Huy entschieden wurde, wo der 26jährige Slowene spielend leicht Kévin Vauquelin (Arkéa – B&B Hotels) und Thomas Pidcock (Q36.5 Pro Cycling Team) auf die folgenden Ränge verwies.
Nun kam es an der Côte de La Redoute zur erwarteten Vorentscheidung – wobei verblüffte, dass Pogačar die Konkurrenz mit einer beiläufig anmutenden Beschleunigung sogleich abschüttelte. Remco Evenepoel (Soudal Quick-Step), der zweite Topfavorit, war so schlecht positioniert, dass er nie zur ersten Verfolgergruppe aufschloss. Aus der Handvoll Fahrer kristallisierten sich wiederum der 30jährige Italiener Giulio Ciccone (Lidl – Trek) und der 24jährige Ire Ben Healy (EF Education – Easypost) als die stärksten heraus und teilten sich nach einem Zweiersprint in dieser Reihenfolge die Plätze zwei und drei. Pogačars sonnenbeschienene Solofahrt, die anders als zu Ostern nicht durch Gegenwind erschwert wurde, endete mit seinem neunten Sieg bei einem Monument. Mehr haben nur die Senioren Eddy Merckx und Roger De Vlaeminck vorzuweisen.
Danach kam auch das 9. Frauenrennen erst auf den letzten 35 Kilometern in Schwung – wobei die Entscheidung aber bis zum Zielsprint offen blieb. Nach der Redoute riss Pauliena Rooijakkers (Fenix-Deceuninck) aus und entband ihre 22jährige niederländische Kollegin Puck Pieterse, die vor Demi Vollering (FDJ – Suez) und Elisa Longo Borghini (UAE Team ADQ) den 28. Flèche gewonnen hatte, im auf ein gutes Dutzend geschrumpften Peloton von der Tempoarbeit. Indem sie mit zwei Konkurrentinnen zu Rooijakkers aufschloss, erwies Anna van der Breggen (Team SD Worx – Protime), die in Lüttich 2018 und 2017 gewonnen hatte, der Kollegin Lotte Kopecky den gleichen Dienst. So mussten, da Longo Borghini abgehängt war, Vollerings Helferinnen schuften.
Die Siegerin von 2023 und 2021 ging selbst in die Offensive, als die Ausreißerinnen an der Côte de la Roche-aux-Faucons eingeholt wurden. Allerdings bestätigte sich, dass der 28jährigen Niederländerin aktuell jene Explosivität fehlt, die sie vor zwei Jahren alle Ardennenklassiker gewinnen ließ. Vollering konnte weder Pieterse abschütteln noch Kopecky oder Cédrine Kerbaol (EF Education-Oatly). Die Französin, die aus dem vorherigen Quartett übrig geblieben war, riss bald aus dem neuen aus, bevor Kopecky elf Kilometer vorm Ziel aus dem Verfolgerinnentrio fiel und von der herangefahrenen Kimberley Le Court Pienaar (AG Insurance – Soudal Team) ersetzt wurde.
Nach ihrer Einholung war Kerbaol im Vierersprint chancenlos, so dass Le Court Pienaar, Pieterse und Vollering nach 153 Kilometern die Podiumsplatzierungen unter sich ausmachten. Dass das Trio in dieser Reihenfolge abschnitt, mochte überraschen. Allerdings hatte die 29jährige mauritische Siegerin, die erst 2024 voll in den internationalen Rennbetrieb eingestiegen ist, abgesehen von einem Etappensieg beim letzten Giro regelmäßig solide Klassikerergebnisse erzielt.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Sport
-
Duell in Falkensee
vom 29.04.2025 -
Eisbären müssen nie weinen
vom 29.04.2025