Arme immer ärmer
Von Niki Uhlmann
In »erheblicher materieller Entbehrung« mussten 2024 mehr als fünf Millionen Menschen leben, darunter jeweils mehr als eine Million Kinder und Vollzeiterwerbstätige. Ganze 15,5 Prozent der Bevölkerung Deutschlands – das sind rund 13 Millionen Menschen – lebten vergangenes Jahr unter der Armutsgrenze, seien also arm, berichtete der Paritätische Gesamtverband in seinem am Dienstag veröffentlichten Armutsbericht 2025. Das entspreche einem Zuwachs von 1,1 Prozentpunkten seit 2023.
Das Heer des Prekariats wird größer – und noch mittelloser: »Arme werden ärmer« mahnte der Paritätische Gesamtverband. Zwar verfügten jene unter der Armutsgrenze 2020 lebenden Menschen im Schnitt nominal über 981 Euro, die bis 2024 auf 1.099 Euro angewachsen seien. Berücksichtige man aber die horrenden Preissteigerungen durch Coronakrise und Ukraine-Krieg, bliebe davon heute übrig, was damals 921 Euro gewesen wären. »Die Schutzwirkung des Sozialstaats« schrumpfe, folgert die Studie. Sei die Armutsquote 2021 durch staatliche Umverteilung noch um 27,7 Prozentpunkte reduziert worden, würden heute nur noch 25,1 Prozentpunkte aufgefangen.
Weniger brisant ist die Erkenntnis, dass arm bleibt, wer arm ist: Frauen (16,2 Prozent) eher als Männer; junge Erwachsene (24,8) und Menschen ab 65 (19,4) eher als jene dazwischen; Alleinlebende (29) und Alleinerziehende (27) eher als andere Haushalte; Nichtdeutsche (30) eher als Staatsbürger und Erwerbslose (60) sowie »sonstige Nicht-Erwerbspersonen« (32,4), darunter Kinder, pflegende Angehörige und Auszubildende, eher als Erwerbstätige.
Umso erschreckender sind die Härtefälle, die auftreten, wenn mehrere Armutsrisiken zusammenfallen. So beträgt die geschlechtsabhängige Rentenlücke (Gender Pension Gap) 31,4 Prozent, haben Rentnerinnen durchschnittlich 940 Euro Rente, Rentner hingegen 1.370 Euro. Dass davon abgesehen 25,2 Prozent aller Armen Ruheständler sind und weitere 19,9 Prozent trotz Lohnarbeit darben müssen, veranlasst den Paritätischen Gesamtverband zu dem Urteil: Mit Arbeitsmarktpolitik »nach dem viel zitierten Motto ›Sozial ist, was Arbeit schafft‹« sei nicht weitergeholfen.
Und was bedeutet Armut? Unfinanzierbar seien laut Bericht insbesondere unerwartete Ausgaben, etwa das Ersetzen oder Reparieren eines kaputten Haushaltsgeräts, ein einwöchiger Urlaub, neue Möbel und die Teilnahme an Freizeitaktivitäten. Im Klartext: Man lebt im Elend und kommt nicht raus.
Ein SPD-Sprecher betonte gegenüber jW zum Bericht befragt: »Armutsbekämpfung ist ein absolut zentrales Ziel der SPD.« Darum würden »Job-Center besser ausgestattet«. Die laut Paritätischem Gesamtverband unzureichenden Sozialleistungen sollen »einfacher und transparenter« werden. Eine nennenswerte Verbesserung dürfte allenfalls die Mindestlohnerhöhung sein, deren Durchsetzung indes in den Sternen steht. Die Union äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht. »Die große Lobbykoalition unter Friedrich Merz wird die Lage weiter verschlimmern«, hielt Linksparteivorsitzende Ines Schwerdtner auf Nachfrage gegen. Notwendig wären Investitionen, »wo sie den Menschen nützen: in Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern«. Stattdessen würde aufgerüstet und am Sozialstaat gespart.
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