Rätsel um Pipeline
Von Knut Mellenthin
Russland habe mit Iran die Lieferung von 55 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr vereinbart, meldete Reuters am vergangenen Freitag. Viele Medien, auch in Deutschland, übernahmen diese Behauptung. Wenn das wahr wäre, wäre es sensationell, denn das ist genau die Menge, die Russland durch die Pipeline Nord Stream I pumpte, bis diese am 26. September 2022 aufgrund der Explosion mehrerer Bomben unterbrochen wurde.
Aber die Sensation findet vorläufig nicht statt, denn die Meldung war falsch. Die phantastische Menge schrumpft vorläufig auf ungefähr 1,8 Milliarden Kubikmeter Erdgas zusammen, die Russland dem Iran im laufenden Jahr liefern will. Alles, was darüber hinausgehen könnte, ist Zukunftsmusik. Eine erhebliche Vergrößerung der Liefermenge würde gegenwärtig allein schon daran scheitern, dass die Infrastruktur, vor allem die erforderliche Pipelinekapazität, fehlt. Eine Leitung, die über Aserbaidschan oder durch das Kaspische Meer führen könnte, ist erst im ganz frühen Planungsstadium und soll nur eine anfängliche Kapazität von zwei Milliarden Kubikmetern pro Jahr haben.
Diese Menge auszuweiten, ist lediglich der gemeinsam erklärte Wunsch beider Seiten. Ein entsprechendes Memorandum of Understanding (MoU) wurde am 26. Juni 2024 zwischen dem russischen Konzern Gasprom und dem staatlichen Gasunternehmen Irans, englisch abgekürzt NIGC, vereinbart. Ein MoU ist praktisch nicht mehr als eine unverbindliche, oft nur allgemein gehaltene gemeinsame Absichtserklärung. Das im vorigen Jahr unterzeichnete »strategische Memorandum« sieht als angestrebtes Ziel eine Liefermenge von 300 Millionen Kubikmetern pro Tag vor. Das entspräche 109 Milliarden Kubikmetern im Jahr. Der damalige iranische Ölminister Dschawad Owtschi nannte das Dokument »ein Meisterstück der Energiediplomatie, das die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Revolution schaffen und die Energiesicherheit der Region mit Hilfe Irans sicherstellen kann«. Den Jahreswert des angestrebten Geschäfts gab Owtschi mit zehn bis zwölf Milliarden US-Dollar an.
Iran besitzt zwar nach Russland die zweitgrößten Erdgasvorkommen der Welt, kann diese aber aufgrund fehlender Investitionen nur unzureichend entwickeln und nutzen. Außerdem ist dessen Eigenverbrauch für die Stromerzeugung und das Beheizen von Wohnungen sehr hoch. Iran ist daher erst seit wenigen Jahren Nettoexporteur von Erdgas und kann nicht einmal ganzjährig die Erfüllung seiner Lieferverträge, hauptsächlich mit dem Irak und der Türkei, sicherstellen. Auf iranischer Seite besteht der erklärte Wunsch, das Land mit Hilfe Russlands zu einem regionalen Umschlagplatz für Erdgas zu entwickeln. Aber die fehlende Infrastruktur verhindert das auf absehbare Zeit. Owtschi behauptete im Juli vorigen Jahres, Russland werde die Kosten für den Bau einer Pipeline unter dem Kaspischen Meer übernehmen. Dafür gibt es aber aus Moskau keine Bestätigung. In Wirklichkeit ist die Aufteilung der Kosten vermutlich eines der Probleme, die der Realisierung dieses Projekts im Wege stehen.
Hintergrund der aktuellen Falschmeldungen war die 18. Tagung des gemeinsamen Wirtschaftsausschusses der beiden Länder, die vom 22. bis zum 24. April in Moskau stattfand. Bei dieser Gelegenheit hatte der gegenwärtige iranische Ölminister Mohsen Paknedschad einen betont optimistischen Überblick über die erreichten Erfolge (oder auch Wunschvorstellungen) der Kooperation vorgetragen.
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