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Aus: Ausgabe vom 30.04.2025, Seite 2 / Kapital & Arbeit
Klassenkampf in Bangladesch

»Sie wollen Handelsvorteile«

Bangladesch: Staatliche Willkür gegen Textilgewerkschaft. Westliche Unternehmen profitieren. Ein Gespräch mit Berndt Hinzmann
Interview: Gitta Düperthal
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Arbeiterinnen und Arbeiter in einer Textilfabrik in Gazipur (9.4.2025)

Führende Gewerkschafter der National Garment Workers Federation, NGWF, sind am 12. März in Bangladesch überfallartig festgenommen worden. Was können Sie zum Hergang sagen?

Die illegalen Festnahmen des NGWF-Generalsekretärs Kabir Hossain sowie der Gewerkschaftsführer Khairuzzaman Sabuj und Nur Habib fanden im Kontext eines Kampfes um gewerkschaftliche Forderungen statt: Die zum Konzern AJI Group/AJI Apparels Industry Ltd. gehörende Textilfabrik Polo Composite Knit Industry sollte ausstehende Löhne zahlen und geplante unrechtmäßige Entlassungen zurücknehmen.

Bei einer Besprechung am Abend des 12. März verwüsteten mutmaßlich vom Management beauftragte Schläger und die Polizei das Gewerkschaftsbüro. Sie führten die Gewerkschafter ab. Eine Anklage lag nicht vor. Der repressive Willkürakt diente offenbar dem Ziel, Gewerkschafter, die sich für Arbeitsrechte einsetzen, zu schikanieren und zu ängstigen, damit sie ihre Aktivität einstellen.

Wie ist es den Festgenommenen seither ergangen?

Kabir Hossain kam gegen Kaution am 21. März frei, die beiden anderen Gewerkschafter meiner Kenntnis nach bis heute noch nicht.

Ist das Lieferkettensorgfalts­pflichtengesetz, LkSG, in dem Fall hilfreich?

Öffentliche Aufmerksamkeit für die Verantwortung bei den einkaufenden Unternehmen kann die Repressionen beenden. Und das LkSG verlangt von diesen eine effektive Möglichkeit für Beschwerde und Abhilfe. Die Gewerkschafter hatten uns auf Produzenten und Unternehmen hingewiesen, die darunterfallen: Kappa, Lidl sowie die türkische Kette Carrefour S. A. betreiben Geschäfte mit Polo Composite Knit Industry. C & A, Primark und Otto Group erklärten nach Bekanntwerden, seit 2023 keine Geschäftsbeziehung mit dem Unternehmen mehr gehabt zu haben.

Es fehlt an einem wirksamen Gesetz mit der Verpflichtung, sich um das Einhalten der Menschen- und Arbeitsrechte in den Lieferketten zu kümmern. Der Fall zeigt: Hier besteht ein strukturelles Problem.

Als neue Bundesregierung haben Union und SPD angekündigt, das Gesetz abzuschaffen. Ist das LkSG nicht schon jetzt ein stumpfes Schwert?

Nein, das Gesetz setzt Standards: mit Risikoanalysen, Präventionsmaßnahmen, Abhilfe bei Verstößen, mit Einführung eines Beschwerdeverfahrens und öffentlichem jährlichem Berichterstatten. Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden sind zur Umsetzung verpflichtet. Mit dem Koalitionsvertrag wird angekündigt, das nationale Gesetz mit Regelungen zu Sorgfaltspflichten hinsichtlich von Menschen- und Umweltrechten in jeweils eigenen Geschäftsbereichen und denen der unmittelbaren Zulieferer abzuschaffen. Es soll durch die EU-Lieferkettenrichtlinie ersetzt werden.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Wir sind damit konfrontiert, dass Unternehmen wie in Bangladesch zunehmend brutal gegenüber Gewerkschaften vorgehen. Man will ihnen das auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlung basierende internationale Recht nehmen. Das Gesetz wurde etabliert, weil freiwillige Initiativen die strukturellen Probleme kaum beheben. Die freiwilligen Standards verhinderten nicht, dass am 24. April 2013 das Rana-Plaza-Gebäude in Dhaka in Bangladesch einstürzte. Dabei starben 1.134 Menschen, überwiegend Textilarbeiterinnen, mehr als 2.500 wurden verletzt.

Welche Interessen vermuten Sie hinter der Absicht, das Lieferkettengesetz abschaffen zu wollen?

Man kehrt zum alten Verständnis des klassischen Wettbewerbsvorteils zurück. Europa und auch eine neue deutsche konservative Bundesregierung präferieren das ökonomische Primat, um sich Handelsvorteile zu sichern. Nachhaltigkeit, soziale und ökologische Standards gelten wieder als Wettbewerbsnachteil. Das ist aber nicht zukunftsfähig, was auch einige Unternehmen so sehen. Mit einer solchen Position nach dem Motto »Zuerst wir« wird Zustimmung bei der AfD gewonnen. Wir befürworten dagegen ein starkes europäisches Liefergesetz, das auf Transformation hin zu einem ökologischen, nachhaltigen Wirtschaftssystem setzt – und fordern alle fortschrittlichen Kräfte auf, sich mit uns gemeinsam dafür einzusetzen.

Berndt Hinzmann arbeitet für die entwicklungspolitischen Organisation Inkota zu den Themen Wirtschaft und Menschenrechte, Lieferketten, Textilien und Leder

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