Fights auf dem Kiez am 1. Mai
Von Oliver RastDie Linse des Kameraobjektivs fixiert den Haupteingang links der Gasse mit der Leuchtreklame - einer Gitarre samt Stern. Im Hintergrund die Melodie der US-amerikanischen Agentenserie »Mission Impossible«, dazu der eingeblendete Schriftzug »Countdown zum Showdown auf dem Kiez«. Ein kleiner Werbetrailer für einen großen Kampfabend. Die Offerte ist klar, hier geht›s rein, rein in die »Große Freiheit 36« in der gleichnamigen Straße, mitten auf St. Pauli in Hamburg. Am Arbeiterkampftag, am 1. Mai. Schlag auf Schlag wird es gehen, vom ersten Gong an. Zwei Weltmeisterschaften stehen auf der Fightcard. Veranstaltet vom umtriebigen Promoter Thomas Nissen von »Boxen im Norden«.
Auf Augenhöhe
Ein hanseatischer Kampfabend zum Jubiläum, zehn Jahre »Boxen im Norden«, mit eigener Atmosphäre, mit eigenem Charme: »Bei uns ist es laut, eng, voll«, erzählt Nissen am Dienstag im Plausch mit jW. Keine weißen Tischdeckchen, kein überflüssiger Plunder im legendären Musikklub mit dem »Kaiserkeller« im Untergeschoss an der Reeperbahn. Volkstümlich halt – und so soll es sein, nur so. Nissen kommt aus dem Hamburger Hafen, weiß um die Maloche, kennt Blut, Schweiß, Tränen. Klassischer Faustkampf liegt da gar nicht fern. »Wir haben mit ‚Boxen im Norden‹ bei null angefangen, uns hochgekämpft mit unseren Veranstaltungen.« Und die finden seit Jahren an zwei Feiertagen statt, neben dem 1. Mai am 3. Oktober. Fights auf Augenhöhe, Fights, die das Publikum begeistern sollen. Viel Klasse, viele klasse Kämpfe. Nissen: »Alles ehrlich, alles sauber.« Dazu gehört auch: Verträge mit seinen Athletinnen und Athleten macht Nissen »per Handschlag«. Alte Schule. Mehr noch: Die, die für den Matchmaker in den Ring klettern, sind nebenher erwerbstätig. Doppeljobber. Ohne Disziplin, ohne Kondition unmöglich. Das schätzt Nissen sehr.
Sprung ins Spitzentrio
Zu den beiden Hauptacts des Jubiläums: Doppelweltmeisterin Fai Phannarai (16 Siege, keine Niederlage, sechs Knockouts) steigt gegen die 27jährige Mexikanerin Isis Vargas Perez (zehn Siege, sechs Niederlagen, drei Knockouts) ins Seilgeviert. Es ist Phannarais fünfte Titelverteidigung; es geht um die WM-Gürtel der Weltverbände WIBF und WBF im Superbantamgewicht (bis 55,3 Kilogramm). Siegt die 23jährige Championesse, positioniert sie sich auf Platz drei der Weltrangliste. Ein Sprung nach vorne, direkt ins Spitzentrio. Dann stehen der gebürtigen Thailänderin Phannarai die Türen weiterer großer Verbände offen, sperrangelweit. Aber Obacht: Die robuste Perez hat den Flug um den halben Globus nicht unternommen, um im Hamburger Ringstaub zu landen – und vom Unparteiischen ausgezählt zu werden. Mitnichten. Also kein Spaziergang für die Titelverteidigerin, eher ein Gewaltmarsch. Brisant dürfte ferner der Auftritt von Supermittelgewichtler Alexander Pavlov werden. Nissens Musterathlet hatte im Februar eine knappe Niederlage im innerdeutschen Duell gegen Vincenzo Gualtieri um die WBO-Europameisterschaft kassiert. Nun wird Pavlov bei der »Boxen im Norden«-Gala Alaa Al Mahmoud aus den Niederlanden vor den Fäusten haben. Der 27jährige Athlet syrischer Herkunft ist bislang ungeschlagen; elf Duelle, elf Triumphe, acht vorzeitige Erfolge. Eine K.-o.-Quote von 73 Prozent; eine, die gleichfalls Pavlov in seinem Kampfrekord von 22 Gefechten vorweisen kann. Kurz, zwei Knockouter werden die Bühne betreten, ein offener Schlagabtausch um den WBF-Titel.
Kalkuliertes Restrisiko
Klar, Promoter Nissen will siegreiche Hauptkämpfe seiner Schützlinge. Bloß, sicher ist das nicht. Wie auch? Jeder Gang ins Seilquadrat birgt das Risiko der Pleite. Das schreckt den »Boxen im Norden«-Macher aber nicht. Im Gegenteil: »Ich geh› das so an.« Oder: WM-Titel für Pharannai und Pavlov, keine »unmögliche Aufgabe« am Tag der proletarischen Festspiele in der »Großen Freiheit 36«.
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