Aus: Ausgabe vom 01.04.2006, Seite 4 / Inland
Hamburgs CDU-Senat wackelt
Von Andreas GrünwaldGibt es in Hamburg demnächst Neuwahlen? Oder gelingt es dem angeschlagenen CDU-Senat doch noch, bis 2008 durchzuhalten? Für Parlamentsbeobachter waren solche Fragen auch am Donnerstagabend nach Ende der Plenarberatungen in der Bürgerschaft nicht zweifelsfrei zu beantworten. Sichtbar waren aber die tiefen Wunden, die die Protokollaffäre im Regierungslager gerissen hat. Eine erneute Krisensitzung der CDU-Fraktion hatte es erst am Donnerstag nachmittag gegeben. Dort ging es nun um die Ernennung des CDU-Abgeordneten Christoph Ahlhaus zum neuen Staatsrat in der Innenbehörde, während sich eine Mehrheit in der Fraktion für den CDU-Abgeordneten Manfred Jäger ausgesprochen hatte. »Hätten wir das gewußt, wäre die Wahl von Lüdemann zum neuen Justizsenator wohl anders ausgegangen«, raunten einige Abgeordnete.
Ähnlich turbulent war schon der Vortag verlaufen, als in der Bürgerschaft der ehemalige Justizstaatsrat Carsten Lüdemann (CDU) zum Nachfolger für den geschaßten Justizsenator Roger Kusch (inzwischen parteilos) bestätigt werden sollte. Nur 62 von 63 CDU-Abgeordneten folgten bei der geheimen Abstimmung ihrem Regierungschef, obwohl dieser sogar mit seinem Rücktritt gedroht hatte, würde sein Wunschkandidat nicht schon im ersten oder zweiten Wahlgang in der Bürgerschaft bestätigt werden.
Kaum war die Bestätigung von Lüdemann so geschafft, sahen sich die CDU-Abgeordneten schon neuen Herausforderungen ausgesetzt. Oppositionspolitiker attackierten die zweite Bürgermeisterin und Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU), die SPD-Landeschef Mathias Petersen sogar als fachlich inkompetent und »Senatorin Ahnungslos« gebrandmarkt hatte. Petersen forderte ihren Rücktritt, weil Schnieber-Jastram ebenfalls tief in die Affäre um die Weiterleitung geheimer Akten aus dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum geschlossenen Jugendheim in der Feuerbergstraße verwickelt sei. Bekannt war, daß ihre gesamte Behördenspitze diese Unterlagen gelesen hatte, während Schnieber-Jastram aber angab, davon nichts gewußt zu haben. Am Mittwoch kam nun aber heraus, daß die Senatorin schon im Oktober 2005 in einem Fernsehinterview die Existenz solcher Dokumente in ihrer Behörde indirekt eingeräumt hatte, ohne zum damaligen Zeitpunkt die Brisanz einer solchen Aussage zu erkennen.
Ebenfalls scharf ging die Opposition dann auch mit Lüdemann ins Gericht, dessen Rolle als früherer Staatsrat von Kusch »überhaupt noch nicht aufgeklärt« sei. Auch deshalb forderte die Grünen-Fraktionschefin Christa Götsch nun die Offenlegung eines Ermittlungsberichts zur Protokollaffäre, den die Senatskanzlei bislang unter Verschluß hält. Als SPD-Fraktionschef Michael Neumann dann noch ankündigte, daß es einen zweiten Untersuchungsausschuß geben wird, der sich ausschließlich um die Verwicklung der Exekutive in die Affäre drehen soll, war die christdemokratische Erregung schließlich so groß, daß der Bürgermeister Ole von Beust selbst und sichtbar angegriffen in die Bütt gehen mußte. Er werde Schnieber-Jastram nicht entlassen, lautete seine Botschaft, bevor er dann – und getreu dem Motto »Angriff ist die beste Verteidigung« – seinerseits Oppositionsabgeordneten vorwarf, sie hätten Geheimunterlagen weitergeleitet.
Die Entlassung von Schnieber-Jastram wäre für von Beust in der Tat ein dann kaum noch zu beherrschender GAU. Wie andere geht offenbar auch von Beust davon aus, daß sich seine CDU-Fraktion, die sich schon jetzt in verschiedene Flügel aufspaltet, dann bei der Suche nach einer Nachfolgerin regelrecht zerfleischen würde.
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