Kabinett billigte Atomnovelle
Der Bau des geplanten europäischen Druckwasserreaktors wird erleichtert, Enteignungen zur Erkundung des Salzstocks in Gorleben ermöglicht und die Betriebsgenehmigung für das Endlager Morsleben bis zum Jahr 2005 verlängert. In allen drei Punkten konnte Umweltministerin Angela Merkel (CDU) sich mit ihrer Vorlage zum neuen Atomgesetz durchsetzen. Das Bonner Kabinett verabschiedete am Mittwoch eine entsprechende Novelle.
Durch das besonders umstrittene »standortunabhängige Prüfverfahren« soll die Vorabprüfung für den Reaktor EPR dem Bundesamt für Strahlenschutz übertragen werden. Die Landesbehörden hätten nach einer solchen Prüfung weniger Spielraum für das Genehmigungsverfahren.
Mit der Bestimmung, daß im Planungsgebiet eines Endlagers keine »wertsteigernden Maßnahmen« vorgenommen werden dürfen, will das Umweltministerium den Salzstock in Gorleben zum Atommüllager umfunktionieren. Schließlich verlängerte das Kabinett die im Einigungsvertrag festgelegte Betriebserlaubnis des Atommüllagers Morsleben bis 2000 um weitere fünf Jahre.
In ersten Reaktionen bezeichnete Jürgen Trittin, Bundesvorstandssprecher der Grünen, die Umweltministerin als »Kaltmamsell der Atomindustrie«, während seine Parteifreundin, die Bundestagsabgeordnete Ursula Schönberger, den Ausdruck »Planierraupe der Atomindustrie«, wählte. Einfallsreich zeigten sich auch die Kernkraftgegner der Konservativen. Ein Vertreter der Christlichen Demokraten gegen Atomkraft schimpfte Frau Merkel eine »Stalinorgel der Atomwirtschaft«. Sachsen-Anhalts Umwelt-Staatssekretär Wolfram König (Bündnis 90/Die Grünen) kündigte eine Klage gegen die Atomgesetzänderung vor dem Bundesverfassungsgericht an.
Die Bundesumweltministerin glaubt, daß sie für die endgültige Durchsetzung der umstrittenen Änderungen des Atomgesetzes nicht auf die Zustimmung des SPD-beherrschten Bundesrats angewiesen ist. Die SPD-geführten Länder gehen allerdings davon aus, daß sie das Gesetz noch durch Einspruch in der Länderkammer stoppen können.
Das Kabinett kam den Sozialdemokraten bei der mit der IG Bergbau vereinbarten Verlängerung der Kohlesubventionen entgegen. Alle Hilfen zusammengerechnet, soll der Steinkohlebergbau im nächsten Jahr noch 9,25 Milliarden Mark erhalten.
Atomgesetz und Kohlehilfen wurden in getrennten Gesetzen verabschiedet. Sollte sich der Bundesrat jedoch als widerspenstig erweisen, könnte die Regierungskoalition die beiden Vorhaben im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens noch zu einem einzigen Gesetz zusammenfassen. Damit wäre die SPD unter Druck gesetzt: Wenn sie dann die atomrechtlichen Neuregelungen ablehnte, würde sie automatisch zugleich auch die vereinbarte Kohlehilfe torpedieren.
(jW/AP/AFP/ddpADN)
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