Falscher Zauber
Von Peter SteinigerFür Werbeterror gibt es keine Warnstufen. Der Bürger als Konsument hat sich dem auszusetzen. Auch die Reisebranche bombt uns zu. Am schönsten, am besten, phänomenal und gern total. Wie bei jeder Propaganda führen auch bei der kommerziellen Werbung der inflationäre Gebrauch von Superlativen, das klebrige Selbstlob, die Beleidigung der Intelligenz und die penetranten Wiederholungen bei ihren Adressaten zur Abstumpfung. Und doch: Steter Tropfen höhlt ja den Stein, also auch den Kopf. Parolen bleiben hängen. Und neue Gläubige reihen sich ein in den Ringelpiez ums Goldene Kalb. Ohne Ökonomie geht es nicht. Wer nicht wirbt, stirbt, heißt es. Für nicht wenige Länder und Regionen ist die Tourismusindustrie eine Lebensader. Wie verwundbar sie ist, zeigen die jüngsten Anschläge in Ägypten oder der Türkei. Dann fliehen die umworbenen Kunden aus den reicheren Ländern. Natürlich nehmen sie nicht die Balkanroute, sondern verlegen ihren Urlaub ganz bequem. Zum Beispiel nach Portugal, aufs spanische Festland oder auf die schöne Insel Mallorca. Es ist eines unserer Themen hier, dass das nicht nur Geld, sondern auch Probleme mit sich bringt.
Seit es Menschen gibt, möchten diese wohl wissen, was hinter dem Horizont liegt. Wissen wollen ist der erste Schritt zum aufgeklärten Menschen. »Wissen macht uns verantwortlich«, mahnte der Revolutionär Che Guevara, ein cooler Typ, der selbst viel rumkam, eine Menge guter Sprüche draufhatte und trotz Asthma den Bergtourismus schätzte. Es lohnt sich, hinter den Horizont zu blicken, über das Ziel und die Art zu reisen nachzudenken. Über das Verhältnis von Mensch und Umwelt, Kapital und Arbeit. Unsere Autoren möchten dazu anregen, mit offenen Augen der Reiselust nachzugehen, Orte zu erkunden, Menschen und Kulturen.
Es liegt auch an den Zeiten, dass das Fernweh wächst. Wir dachten, die Narren, die Köln oder Düsseldorf heimsuchten, gerade erst losgeworden zu sein, da muss man feststellen: Das ganze Abendland machen sie unsicher. Manche kostümieren sich in Nadelstreifen, manche gehen als prollige Dumpfbacke, einige spazieren im Spießerkostüm oder tragen Uniform, andere laufen herum wie du und ich. Fröhlichkeit verbreiten sie nicht. Sie lärmen, dass wir am Arsch wären, sie verbreiten Angst. Aus ihrer Furcht heraus, denn sie wissen schließlich ganz genau, wie der Moslem tickt oder was der Schnackel-Afrikaner im Schilde führt. Und sie finden, dass wir Deutschen schon lange genug für das bisschen Weltkrieg büßen mussten. Nun wollen uns Fremde an den Wohlstand, ihre Sitten, Gebräuche und Schleier überstülpen, die Party versauen. Die Wurst bleibt hier, tönen sie, kein Zugereister soll davon abbeißen. Blasen irgendwo tausend solcher Wuttrottel in ihre Tröten, sind sie auch schon in der »Tagesschau«. In den Umzügen der Demagogen finden sich auch solche wieder, die die Veränderungen, die die massenhafte Flucht von Menschen vor Krieg und Elend mit sich bringt, überfordern. Vielleicht selbst Opfer sozialer Kälte treten sie nach unten. Und es ist kein Wunder, dass manche Birne weich ist. In Medien wurden bereits über Jahre Klischees und Feindbilder verbreitet. Ihr neuer Lieblingsschurke sitzt, und das ist nicht gerade originell, mal wieder im Kreml. Zwei unserer Beiträge führen Sie in sein Reich.
Das Reisen hat viele Facetten. Doch egal, ob man durch Grönland stapft, durch die Brandenburger Pampa radelt oder sich an Kubas schönstem Strand, der Playa Pilar, rekelt – immer ist es eine lehrreiche Herausforderung. Reisen schafft Freundschaften, prüft Partner auf Verträglichkeit. Es ist eine Schule für Geduld und Toleranz, es stärkt den Verstand und das Herz. Hier lernt man, was das andere ausmacht, wie ähnlich sich alle Erdenkinder doch sind. Hier lernt man, wie der andere tickt, hier lernt man das, was kein Buch, keine Zeitung und schon gar kein Politikerwort erklärt. Wir werben um Ihre Lust am Reisen – mit leisen Tönen.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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