Einmalige Herausforderung
Von Klaus FischerAm 1. März 1956 wurde die Nationale Volksarmee gegründet. Auch wenn es 60 Jahre her ist und weder sie noch der Staat, den sie schützte, weiter existieren, ist dieses Datum Anlass, unsere Sicht der Dinge zu skizzieren. Denn diese Armee war etwas Besonderes. Nicht in Aussehen oder Bewaffnung. Anders war sie in ihrer Verfasstheit, dem Zweck ihres Daseins. Sie war eine Armee des Friedens. Zwar behaupten alle Streitkräfte und deren Lenker, dass sie ausschließlich diesem Ziel verpflichtet seien. Doch hinter den Phrasen stand und steht das, was Marxisten Klasseninteressen nennen.
Die NVA war gebildet worden zum Schutz einer Idee, die als Staat konstituiert wurde. Einer der engsten Kampfgefährten von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war dessen erster Präsident: der Tischler Wilhelm Pieck. Markenkern dieser Ordnung war, dass sie die entscheidenden gesellschaftlichen Produktionsmittel – Land, Fabriken, Werkstätten, Kohle- und Erzminen – vergesellschaftet hatte. Aus Privateigentum wurde Gemeineigentum, »aus Gutshöfen Waisenhäuser« (Reinhold Andert). Eine Revolution, ein frecher Akt der Herausforderung an das globale Kapital, dessen Eigner und Helfer.
Diese Realität gewordene Idee, vor Roll-Back-Strategen und deren Streitkräften zu schützen, war Aufgabe der NVA, extrem defensiv und ungeheuer aufwendig. Im feindlichen »Brüder- und Schwesternland« sannen nicht nur die dort wieder in Amt und Würden gelangten Altnazis auf Vergeltung. Spätestens seit der Fulton-Rede von Britanniens Premier Winston Churchill 1946 war klar, dass es eine militärische Option gab, den entstehenden realen Sozialismus zu stoppen. Aber da war ja noch der »große Bruder«, die UdSSR. Nur unter ihrem Schutz hatte die DDR entstehen können. Später sollte der Dichter Peter Hacks schreiben: »Die Sowjetmacht, sie schenkte uns das Leben. Sie hat uns auch den Todesstoß gegeben.«
Dieser frühen Protektion verdanken auch die NVA und deren Vorgängerin, die Kasernierte Volkspolizei, ihre Existenz. Bereits zu Beginn der 50er Jahre schien man im Westen die offene Attacke nicht als einzige Möglichkeit zu betrachten, dem »Gebilde« (wie Konrad Adenauer die DDR nannte) ein Ende zu bereiten. Die Sowjetunion, auch im Besitz von Wasserstoffbomben, konnte die Revanchegelüste der westlichen Herrscher und ihrer Auftraggeber in Palästen und Konzernzentralen zwar dämpfen, aber nicht unterdrücken.
Was heute »farbige Revolution« genannt wird, waren damals »Volksaufstände« – erdacht und gelenkt von Geheimdiensten und deren Hilfstruppen, begünstigt und zum Teil mitverschuldet durch materielle Not oder Unzufriedenheit in den Staaten, in denen sie stattfanden. 1953 in der DDR und 1956 in Ungarn wurde versucht, diese Länder »zurückzuholen«, ohne den offenen Anschein einer Aggression. Es war schmerzhaft für uns, aber es scheiterte.
1961 mussten die offenen Grenzen zum Westen geschlossen werden. Die DDR hätte den Exodus abgeworbener Fachkräfte nicht überstehen können. 1962 wurde die Wehrpflicht eingeführt. Leichte Jahre gab es in der 40jährigen Existenz dieses zukunftsorientierten Riesenprojekts auf deutschem Boden nicht. Auch weil der heiße Krieg immer drohte. Das fraß Ressourcen und Nerven, kostete auch Optimismus und ließ manchen ratlos zurück. Der Propaganda- und vor allem der Wirtschaftskrieg gegen die Republik wurde offen und mit gnadenloser Härte geführt. Es war letzterer, der den größten Anteil am Untergang hatte. Die NVA trifft keine Schuld daran. Und sie wird vermutlich noch lange in der Geschichte Bestand haben als jene deutschen Armee, die nie einen Krieg geführt und vor allem keinen begonnen hat.
Klaus Fischer ist Diplomökonom, arbeitet als Redakteur der Tageszeitung junge Welt und ist Reserveoffizier a. D. der DDR-Volksmarine
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