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Aus: Literatur , Beilage der jW vom 10.10.2018
Literatur

Pfreppft

Gott vermag alles: In seinen neuen Heiligenlegenden weist Eckhard Henscheid auf das Göttliche der Kunst
Von Stefan Gärtner
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Das wäre ja die Frage, ob das nun der genau richtige Zeitpunkt für »Heiligenlegenden« ist, wo sich die katholische Kirche durch tausendfache Sexualgewalt wider Schutzbefohlene in die Defensive molestiert hat, ob also mit der schlecht bzw. natürlich glänzend verhohlenen Mitteilung, bei der Catholica handele es sich um ein ab ovo unseriöses Unternehmen und schlechten Witz, nicht eine offene Kirchentür eingerannt wird. Falls nicht gleichzeitig Gott, der Herr, in seine angestammten Rechte eingesetzt wird; so dass, wo die Firma schon scheitert, der Chef doch überraschend gut aus der Nummer herauskommt.

Henscheids Publikum weiß, dass der Autor (und ehemalige Messdiener) zum Katholizismus eine ambivalente Haltung pflegt: Einerseits lässt der stramme Agnostiker im Roman »Die Mätresse des Bischofs« bündig vom »gesamtkatholischen Unfug« die Rede sein und nennt in den »Sudelblättern« – freilich unter der Jean Paulschen Voraussetzung, dass Satire in der Feder und nicht im Herzen wohne – den »Herrn Jesus« einen »Esel«. Andererseits hat derselbe Agnostiker, noch weit vor dem »gotteskundlichen Roman« »Aus der Kümmerniß« (2012), eine »Marien-Trilogie« verfasst, deren erster Teil dieselbe »Mätresse« ist, die den Schlussstein der »Trilogie des laufenden Schwachsinns« bildet. Diese Verschränkung erklärt es schon: Der Katholizismus wird zwar nicht (und wie denn bitte auch) ernstgenommen, wohl aber als Ästhetisches ästimiert, als romantische Quelle von »Witz und Wunder« (Mätresse). Die Überzeugung Schopenhauers und Nietzsches, dass das Leben bloß aus ästhetischem Blickwinkel auszuhalten sei, ist ja letztlich die einzige, die den Geistesmenschen angesichts der bekannt »abortschüsselhaften Weltverhältnisse« (Ror Wolf, Raoul Tranchirer) bei der Stange hält; weshalb in »Aus dem Leben der Heiligen. Neue Legenden« der Satz schimmern darf, es sei »gefährlich zu glauben, dass unser Herr Jesus Christlein nur Gott sei, ohne zugleich auch Mensch zu sein und schon früher mal, um Christi Geburt herum, gewesen zu sein, ehe er wieder es wird«. Und wer das nichts als lustig findet, der lese genau und stelle fest: Haargenau so verhält es sich ja mit dem »Christentume (benannt nach Christus d. Ä.)«. (Und ein 1a höherer Zufall dann, dass dem Rezensenten eine zeitgenössisch christliche Broschüre in die Hand gefallen ist: »Liebe Freunde, wir leben in einer bewegten Zeit: Flüchtlingskrise, Handelsstreit, Rechtspopulismus, nationale Abschottung statt gemeinsames Handeln […] Die gute Nachricht ist: In all diesen Turbulenzen baut Gott sein Reich mitten in dieser Welt, und wir dürfen daran teilhaben und mitwirken.« Obszöner Schwachsinn, aber ästhetisch überzeugend, und der Erzähler der »Mätresse« hat es schon gewusst: »Wenn alle geläufigen Unsinns- und Unfugsressourcen ausgenuckelt sind, dann kommt auch Gott wieder zu seinem angestammt strahlenden Recht.«)

Das Postskriptum zu den »Legenden« zitiert aus Musils »Mann ohne Eigenschaften«: »… dass die Welt viel zu wahnfrei sei«. Als bekanntlich voll entzauberte; doch da, wo einstmals Wunder war, stellt heute Witz sich blendend ein: »Oftmals beizeiten wunden Gemüts befliss sich die selige Barbara II. in ihrer Eigenschaft als gottselige Nonne auch fernerhin mit auffallender oder vielmehr aufmerksamer Sorgfalt der allg. und treulichsten Gottesliebe. Bei den Klarissinnen in Trient aber genoss sie – das ist bewiesen! – ihre Erziehung und göttliche Zuwendung. Dort auch wurden ihr die Wundmale Jesu’ zum dauerhaften Geschenk zwecks weiterer Verbreitung und Vergütung oder halt vielmehr Verdemüthigung gemacht, um hier in diesem Jammerthale einigermaßen zuverlässig zu bestehen. (…) O erwäge auch du die sehnsüchtigste Liebe Jesu’ (auch Jesusens vulgo: Christusens), mit der ihn in deinem Herzen zu wohnen verlangt u. begehrt, um dessen Wohlgeruch zu nähren und dann auch zu mehren!« Die Erlösung wohnt aber in diesem wundersamen Quatsch, falls es denn einer ist, und wenn es einer ist, dann ist nicht Gott sein Ziel und Opfer, sondern die Idee, Er mache sich ansichtig und schicke zu diesem Behufe sogar Seinen Sohn herab, auf dass der schlimm am Kreuze ende.

In der Nachschrift findet sich denn auch ein Zitat des US-amerikanischen Computerwissenschaftlers Emerson Pugh: »Wenn unser Gehirn so simpel wäre, dass wir es verstehen könnten, wären wir so simpel, dass wir es nicht könnten.« Übersetzt: Wenn Gott so simpel wäre, dass wir ihn verstünden, wäre er nicht Gott, sondern allenfalls »Pater Lorenz Straßer, Ensdorf, Post Amberg« (S. 86); wie wider die »eminente Immanenz« der Sache bloß die Transzendenz helfen mag, die in der Kunst liegt, in der komischen zumal. Und »Aus dem Leben der Heiligen« ist auf kleinstem Raum große, ihre dekonstruktiven Methoden sind die, die der Autor andernorts gelegentlich als »Irregularitäten« bezeichnet hat: semantische und syntaktische Verrutschtheiten, »Tippfehler«, hauchzart Falsches (der prima Apostroph bei »Jesu’«) und lustvoll Grobes (»Einer unserer willkommensten Heiligen ist allerdings die heilige Bertha. Oder immerhin Margaretha«), Lesarten (»Gott pflichtete ihr darin alsbald bei. Oder teil? Nein, bei«) und zart kopierte, an Henscheids Weißenburger Lieblingsjournalistencrack Hassold (vgl. »Blick in die Heimat«, 1988) gemahnende Einfalt: »Don Juan ist mithin der Stiefbruder von Philipp II. und der Stiefonkel von Don Carlos, welche wir vom Schiller her beide gut kennen. Und Rom sollte also ein Einsehen haben und jenen Türkenverteidiger baldigst nachnominieren.«

Es ist diese Einfalt, die der Schriftsteller Henscheid viel eher bewundert als verspottet, und wenn in seinem Erzählen, bei aller Opulenz, eine Sehnsucht nach dem unentfremdet Vorsprachlichen besteht – man könnte finden, dass der ganze Henscheid in der legendären Zentralszene aus »Maria Schnee« zusammenschießt: »Antn! Antn! Broooove Antn!« –, dann muss, falls Einfalt nicht mehr möglich ist, Kunst ihre Autonomie voll ausspielen (und etwa den Mumpitz kunstfertig durch ein Unendliches preschen lassen), damit, ist alles erst mal implodiert, wieder »Grazie« (Kleist) sich einstellt. Und mithin will das Büchlein doppelt gelesen sein, als Parodie oder gar Travestie sowieso, aber auch romantisch, nämlich universalpoetisch und kunstreligiös, denn, so weiß die Legende: »Gott vermag alles, sagt man. Ist es nicht so?« Und so ist es: »Gott selber aber heiße uns ab sofort und hinfort und wider alle eventuelle u. strukturelle Anfechtung in der vatikanisch reformierten Lautfolge aus dem Munde von Karol Woityla: ›Pfreppft‹.«

Damit wir hier in diesem Jammerthale einigermaßen zuverlässig bestehen.

Eckhard Henscheid: Aus dem Leben der Heiligen. Neue Legenden. Büro-Wilhelm-Verlag, Amberg 2018, 104 Seiten, 16,80 Euro

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