Nicht kleinkriegen lassen
Von Oliver RastDie Zahl der neuen Ausbildungsverträge sinkt in der Coronakrise rapide. Bis Ende September sind bei den Industrie- und Handelskammern 259.837 Vertragsabschlüsse registriert worden. Das sind im Vergleich zum Vorjahr satte 13,7 Prozent weniger, wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) der Frankfurter Rundschau (FR) am 26. Oktober mitteilte.
Und: Auszubildende stehen weit unten in der Betriebshierarchie. Die Vergütung ist oft mager, der Alltag auf der Schulbank meist dröge, die Übernahme in den Betrieb keinesfalls garantiert. Kurzum: Der Berufseinstieg hat seine Tücken, die Lebenssituation vieler Azubis ist prekär.
Das wissen auch die Gewerkschaften und deren Jugendverbände. Sie wissen, sie müssen offensiver werden, Themen und Räume besetzen, insbesondere bei Tarifkonflikten öffentlichkeitswirksam auftreten. Ein Beispiel: Die Jugend der IG Metall (IGM) zeigte, wie vielfältig Protest während der Coronakrise aussehen kann – besser: aussehen muss, um Mitstreiter zu mobilisieren. Bundesweit hatte die Gewerkschaftsjugend Ende September bis Anfang Oktober 80 Aktionen im Rahmen ihrer Kampagnenwoche »Organice« durchgeführt. In Rostock, Bremen, Frankfurt am Main und zahlreichen anderen Orten erprobte sie neue und nicht mehr ganz so neue »Aktionsformate«.
Während die jungen Metallerinnen und Metaller in Bremen den Marktplatz pink und orange färbten, demonstrierten die Frankfurterinnen und Frankfurter auf dem Opernplatz gemeinsam mit der Zweiten Vorsitzenden der IG Metall, Christiane Benner. In Rostock und Wismar erregten Mitglieder der Metalljugend an Uferpromenaden viel Aufmerksamkeit, während sie mit ihren Bannern auf sogenannten Stand-Up-Surfbrettern paddelten. Anderenorts wiesen Aktivistinnen und Aktivisten mit aufgereihten Hockern vor den Betrieben auf unbesetzte Ausbildungsplätze hin. Losungen und Forderungen wurden mit Sprühkreide auf dem Asphalt vor den Werkshallen hinterlassen, gut sichtbar und klar formuliert. Andere spannten Transparente an öffentlichen Gebäuden oder Brücken auf – die Botschaft: Es geht um unsere Sicherheit, um unsere Perspektiven.
Ein bisschen Licht am Ende des Tunnels flackert auf, mehr aber auch nicht. Die Anbahnung von Ausbildungsverhältnissen habe sich vielfach nur um zwei bis drei Monate nach hinten verschoben, meinte ein DIHK-Sprecher gegenüber der FR. Er erwarte »Nachholeffekte«. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hofft auf solche, rechnet aber dennoch mit einem deutlichen Rückgang. »Unter dem Strich gehe ich in diesem Jahr von einem Minus von bundesweit zehn Prozent aus«, sagte Matthias Anbuhl, Abteilungsleiter Bildungspolitik beim DGB, der FR. »Das ist etwas stärker als es in der Finanzkrise 2008 der Fall war, als die Zahl der Ausbildungsverträge um 8,4 Prozent gesunken ist.«
In der Krisensituation scheinen IGM und der Kapitalverband Gesamtmetall sozialpartnerschaftlich noch näher zusammengerückt zu sein. Am 23. Oktober veröffentlichten beide einen Aufruf – darin steht unter anderem: »Die Tarifparteien werben bei den Betrieben darum, die bisher noch nicht besetzten Ausbildungsstellen nach Möglichkeit zu besetzen und die Jugendlichen verstärkt über soziale Medien oder digitale Formate anzusprechen.« Nur: Appelle dürften kaum reichen. Deutlicher hat sich die IGM-Jugend während ihrer Aktionswoche positioniert: »Wir nehmen die Sache selbst in die Hand.«
In unserer Beilage spannen wir den großen Bogen von der krisenbedingten Lage auf dem »Ausbildungsmarkt« hierzulande über die gewerkschaftspolitische Arbeit der Jugendverbände bis zur aktuellen Mobilisierung zu den Wahlen für die Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) in den Betrieben. Denn wie es die jungen Metallerinnen und Metaller auf den Punkt bringen: »So leicht kriegt uns die Krise nicht klein!«
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