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Aus: Wissenschaft und Technik, Beilage der jW vom 09.12.2020
Wissenschaft und Technik

Verformte Forschung

Wissenschaft im Kampf gegen die Pandemie erfolgt unter den Bedingungen der Staatenkonkurrenz. Das hat Auswirkungen auf ihre Arbeitsweise
Von Daniel Bratanovic
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Die Illustrationen zu dieser Beilage stammen von der Künstlerin Xueh Magrini Troll alias Xuehka. Weitere Arbeiten von ihr sind auf ­xuehka.blogspot.com zu finden.

In Zeiten, in denen das müde Gekicke der DFB-Auswahl die Nation inzwischen etwa so gleichgültig lässt wie die ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer, durfte die gekränkte deutsche Seele sich wenigstens einmal wieder mit Stolz abfüllen und die Nachricht wie den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft feiern: Ein Mainzer Biotechunternehmen vermeldete Anfang November, sein entwickelter Impfstoff besitze einen zu mehr als 90 Prozent wirksamen Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung. Nicht irgendwer – ein »deutsches Forscher- und Entwicklerteam« habe das Mittel gegen das Virus erschaffen, unterstrich der Gesundheitsminister.

Während also Jens Spahn besonderen Wert auf das Herkunftsadjektiv legte, bezeichnete Biontech-Chef Ugur Sahin den Durchbruch seiner Firma als einen »Sieg für Innovation, Wissenschaft und weltweite Zusammenarbeit«. Für die Scientific Community mag der letztgenannte Aspekt zutreffen, unter den obwaltenden globalen Zuständen stimmt er aber sicher nicht für das Verhältnis der Staaten und Gesellschaften zueinander. Wo mittlerweile die Rede von einem »Impfstoffnationalismus« (Foreign Affairs) umgeht, da dreht sich alles um die Frage, wie die verschiedenen Vakzine auf dem Globus verteilt werden. Wer bekommt wann was und wieviel? Als gegen die im Jahr 2009 grassierende Schweine­grippe (Influenza A H1N1) schon nach sieben Monaten ein Serum gefunden war, sicherten sich die reichen Staaten die Bestände des Mittels beinahe zur Gänze. Erst das Eingreifen der WHO veranlasste einige von ihnen, wenigstens zehn Prozent ihrer Vakzine an die Habenichtse aus dem globalen Süden abzugeben. Das könnte dieses Mal anders ausgehen: Russland und China haben bereits begonnen, andere Länder bei der Versorgung mit Impfstoff zu unterstützen.

Wissenschaft und ihre – in diesem Falle lebensrettende – Anwendung, soll das jedenfalls heißen, erfolgen unter Bedingungen, unter denen die Staaten selbst in einer Angelegenheit, die zum akuten Problem der gesamten Menschheit geworden ist, einander im Modus der Konkurrenz begegnen. Der unerquickliche Vorgang heißt Imperialismus, das ihm zugrundeliegende Naturgesetz Akkumulation des Kapitals. Der Impfstoff von Biontech funktioniert auf der Basis von Botenribonukleinsäuren (mRNA) und damit prinzipiell anders als bisherige Vakzine. Die gewählte Methode berechtigt auch zu einigen Hoffnungen, dem Krebs wirksam beizukommen. Das Unternehmen betreffende Schlagzeilen der vergangenen Wochen waren indes von dieser Fasson: »Biontech-Gründer Ugur Sahin gehört jetzt zu den 500 reichsten Menschen der Welt.«

In einer Welt, in der ein Börsenwert mehr interessiert als eine wissenschaftliche Methode und deren Potential zur Bekämpfung von Krankheiten, werden tiefergehende Fragen gar nicht erst gestellt. Die Pandemie erscheint als ein Akt höherer Gewalt, eine Naturkatastrophe, die über den hilflos unbeteiligten Homo sapiens unerwartet hereingebrochen ist. Wer in Zusammenhängen denkt, kommt zu anderen Schlussfolgerungen. Affenpocken und Borreliose, Creutzfeldt-Jakob und Ebola, SARS und Schweinegrippe, Tollwut und Toxoplasmose – Zoonosen sind von Tier zu Mensch und von Mensch zu Tier übertragbare Infek­tionskrankheiten, deren Erreger Prionen, Viren, Bakterien, Pilze oder Würmer sein können. Zwei Drittel der neuen Infektionen gehen auf Zoonosen zurück. Die solcherart übertragenen Krankheiten begleiten die Menschheit, seit sie sesshaft wurde. Eine bessere Ernährung, medizinischer Fortschritt und gesundheitspolizeiliche Kontrollen konnten sie in Schach halten. Doch die Entwicklung des Weltmarkts mit seinen globalen Lieferketten, insgesamt die kapitalistische Umformung und Aneignung der Natur befördern wiederum die rasche Verbreitung neuartiger Zoonosen von den abgelegensten Gegenden in die Metropolen.

Der Evolutionsbiologe und Phylogeograph Robert Wallace betont, dass die Ursache von Covid-19 »nicht auf den Auslöser einer Infektion oder ihren klinischen Verlauf beschränkt werden kann, sondern in den ökosystemischen Verhältnissen liegt, die das Kapital seinen Interessen gemäß gestaltet hat«. Jede Epidemie lasse uns »aufs neue aufschrecken und aufgeregt zu den Suchmaschinen laufen, obwohl sie den immer gleichen Kreisläufen der Landnutzung und Wertakkumulation folgen«. Innerhalb seiner Zunft ist Wallace ein einsamer Rufer in der Wüste.

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Leserbriefe zu diesem Artikel:

  • Jens Dossé: Falsche Euphorie Anstelle der typisch Engelsschen Technoeuphorie für den angeblich menschheitsrettenden Wunderimpfstoff, der freilich dazu dient, dem Volk protestlos viele Milliarden abzuzocken, wäre man besser berate...

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