Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Rosa und Karl, Beilage der jW vom 09.01.2021
Kapital

»Irland steht unter dreifachem Joch des Imperialismus«

Über den Klassenkampf der Kommunistischen Partei auf der »Grünen Insel«. Ein Gespräch mit Eugene McCartan
Von Andrei Doultsev
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Kampftag der Arbeiterklasse in Dublin (1.5.2018)

In diesem Jahr feiert die Kommunistische Partei Irlands, die im Oktober 1921 gegründet wurde, ihr hundertjähriges Bestehen. Welche Entwicklungen führten zu ihrem Entstehen?

Die kommunistische Bewegung hat in unserem Land zwei Ursprünge. Sie war das praktische Ergebnis der sozialen und republikanischen Traditionen im Kampf des irischen Volkes für seine Unabhängigkeit. James Connolly und James Larkin, zwei prominente Persönlichkeiten unserer Bewegung, führten diese Kräfte zusammen. Nach dem Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten, der bis 1921 dauerte, gelang es ihnen, die Arbeiterklasse zu vereinen und die erste Kommunistische Partei zu gründen. Der Kampf für die Unabhängigkeit, verbunden mit dem Klassenkampf, ist das historische Fundament unserer Bewegung, dem wir auch heute treu bleiben. Die Arbeiterklasse ist die einzige treibende Kraft für nationale Souveränität. Die herrschende Klasse wird ihre Beziehungen stets so gestalten, dass das imperialistische Interesse im Mittelpunkt steht: Bürgerliche »Verteidiger der nationalen Demokratie« gefährden unsere Souveränität, da sie im Interesse großer Monopole und der Kapitalisten arbeiten. Deshalb betrachten wir die irische herrschende Klasse als Kompradorenbourgeoisie. Ihr Verrat kann an ihren Beziehungen zum transnationalen Kapital und zum Weltimperialismus – den Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen Union und Großbritannien – gemessen werden: Irland steht unter dem dreifachen Joch des Imperialismus. Unsere Sozial- und Wirtschaftspolitik wird von den Interessen des US-amerikanischen Monopolkapitals und der großen transnationalen Konzerne gesteuert, und unsere Beziehungen zur Europäischen Union werden nicht durch den Schutz innenpolitischer Interessen bestimmt, sondern von außen durch die EU aufgezwungen. Für sie spielt es keine Rolle, was das irische Volk sagt oder denkt. In Nordirland ist der britische Imperialismus wiederum nach wie vor der bestimmende Faktor und steuert von dort aus die herrschende Klasse in der Republik Irland.

Vor dreißig Jahren wurden wir durch den konterrevolutionären Putsch in der Sowjetunion und in Osteuropa sehr geschwächt.

Wie ist Ihre Partei aufgebaut?

Wir haben drei regionale Organisationen: Unsere nordirische Organisation mit einer Zweigstelle in Belfast, eine Filiale der Partei in Galway und mehrere Parteiorganisationen in Dublin. Im Westen sind wir in Cork vertreten, während einzelne Genossen ihr Netzwerk im Inneren des Landes aufbauen. 2020 erlebten wir eine sehr schwierige Zeit. Im vergangenen Jahr haben wir einen beträchtlichen Mitgliederzuwachs erreicht, die Covid-19-Pandemie hat uns jedoch die Hände gebunden. Wir haben unsere politische Ausbildung und Koordinierung ins Internet verlegt. Uns fehlt es aber an menschlicher Interaktion, an Begegnungen mit Arbeitern und jungen Menschen, um ihre Probleme und Anliegen besser zu verstehen.

Abgesehen von unserem Parteiaufbau arbeiten wir innerhalb von fortschrittlichen Bündnissen zusammen: im Rahmen des Treffens linker Gewerkschafter, um unser Verständnis des Klassenkampfs in die Politik der Gewerkschaftsbewegung einzubringen. Unsere Genossen haben eine wichtige Rolle dabei gespielt, über den mangelnden Arbeitsschutz in Krankenhäusern, in Großfleischereien und anderen Unternehmen aufzuklären, deren Angestellte während der Pandemie ausgebeutet wurden. Wir haben den kapitalistischen Ursprung der Missstände offengelegt. Die Pandemie hat auch Lücken in der Wohnungspolitik offenbart. Seit Jahrzehnten sprechen Sozialdemokraten über bezahlbaren Wohnraum. Wir stellen diesen Ansatz in Frage, indem wir öffentlichen Wohnungsbau und ein Recht auf öffentlichen Wohnraum für alle fordern. Ein weiteres Bündnis, in dessen Rahmen wir agieren, ist die antiimperialistische Bewegung, das Forum für Frieden und Wiedervereinigung, in dem wir mit Mitgliedern der republikanischen »Sinn Féin«-Partei und anderen Organisationen zusammenarbeiten. Dort treffen wir uns, um gemeinsame Kampagnen für die Souveränität Irlands zu planen.

Viele Linke verschwenden ihre wertvolle Zeit damit, Standards der europäischen Sozialdemokratie der 1950er bis 1970er Jahre zu verteidigen, und vergessen dabei, dass wir weitsichtiger sein sollten. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, die erkämpften Rechte der Arbeiterklasse zu verteidigen. Die Welt hat sich verändert: Die Sowjetunion existiert leider nicht mehr, es gibt eine starke Bewegung des globalen Kapitals Richtung Süden, die Weltproduktion ist strukturell durch Lieferketten miteinander verbunden, und die billigen Konsumgüter, von denen die europäische Bevölkerung profitiert, basieren auf einer extrem harten Ausbeutung der Dritten Welt. All das passiert im Rahmen der globalen Umweltkrise.

Sie beschreiben das neoliberale System, das durch die Politik der britischen Premierministerin Margaret Thatchers Anfang der 1980er Jahre zustande gekommen ist. Irland gilt hier als ein Beispiel für eine radikale Marktwirtschaft und hat einen negativen Ruf als Offshore-Zone. Inwiefern ist dieser Ruf gerechtfertigt?

Irische Arbeiter sind überwiegend für den Mindestlohn tätig. Die Arbeiter hier geben 60 bis 70 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus, und der Wohnungsmarkt wird von privaten Investmentfonds dominiert. Diese Entwicklung liegt daran, dass im Jahr 2010 die irische Regierung 42 Prozent der Schulden gescheiterter europäischer Banken übernommen hat – 42 Prozent bei einem kleinem Land mit einer Einwohnerzahl, die mit der einer deutschen Stadt vergleichbar ist! Die Iren wurden geopfert, um den Euro über Wasser zu halten. Staatsschulden wurden von Finanzspekulanten über Investmentfonds aufgekauft, und die irische Regierung gab den Investmentfonds einen Freibrief für den Immobilienkauf, was zu einem starken Anstieg der Immobilienpreise und zu mehrfachen Mietpreiserhöhungen führte. Nunmehr wurde der Immobilienmarkt durch die Covid-19-Pandemie in Mitleidenschaft gezogen: Nach der Insolvenz zahlreicher Firmen stehen viele Gewerbeimmobilien leer.

Zudem läuft derzeit ein gigantisches soziales Experiment. Die Mitarbeiter der in Irland vertretenen US-Unternehmen Microsoft und Google werden mindestens bis Juni nächsten Jahres im Homeoffice arbeiten. Die Unternehmen werden ihre Effizienz überwachen. All das hat enorme Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Der irische Staat hat sorgfältig und systematisch ausländisches Kapital in das Land geholt. In der Steuerpolitik geht es darum, gut ausgebildete und flexible Arbeitskräfte zu gewinnen sowie Tarifverträge und Arbeitsgesetze zu hintergehen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Irland auch der britische Schlüssel zu Europa, zu den großen europäischen Monopolen ist. Die Politik der irischen Bourgeoisie bei der Einkommensbesteuerung besteht darin, Urheberrechte dieser Monopole in Irland zu schützen und sie mit Steuervergünstigungen hier zu halten. Dublin ist eines der Geldwäschezentren der Welt, wie die Kaiman-Inseln oder die Isle of Man. Es gibt viele Bürohäuser in Dublin mit zwanzig oder dreißig Briefkastenfirmen. Deshalb zahlt zum Beispiel Apple in Irland gerne Steuern. Dieses System ist eine Blase, welche die materielle Produktion nicht widerspiegelt. Daher ist der irische Staatshaushalt extrem instabil und vom guten Willen der Monopole abhängig, während der reale Wirtschaftssektor extrem schwach ist.

Wie hat sich der Brexit auf die irische Wirtschaft ausgewirkt?

Noch gab es keine Auswirkung. Wir sind für den Brexit, weil wir glauben, dass die EU ein Instrument des europäischen Monopolkapitals ist. Das am stärksten konzentrierte Kapital in Europa ist in der BRD, daher spiegelt die EU die Hegemonie des deutschen Kapitals wider, und Frankreich beteiligt sich als Juniorpartner an diesem Tandem. Das deutsche Monopolkapital bestimmt die Fiskalpolitik des Euro für alle Länder der Euro-Zone. Die Europäische Union kann weder reformiert noch transformiert werden, sie muss zerstört werden. Deshalb beobachten wir die Briten genau, wie sie mit den Auswirkungen des EU-Ausstiegs umgehen.

Die Europäische Union benutzt die irische Grenze als Waffe gegen die Briten, und die Briten benutzen Irland, um die EU-Zollpolitik zu umgehen. Auf diese Weise ist Irland wieder zwischen die Mühlsteine zweier verfeindeter imperialer Blöcke geraten: des britischen und des europäischen. Keiner von beiden kümmert sich um die Interessen der Iren.

Gibt es in der irischen Gesellschaft ein Bewusstsein dafür, dass Nordirland besetzt ist? Während die Imperialisten stets mit Schaum vor dem Mund gefordert hatten, Deutschland müsse vereinigt werden, um anschließend die sozialistische DDR zu tilgen, scheint das irische Problem, das seit 1923 besteht, keinen in der herrschenden Klasse zu kümmern.

Das irische Establishment hat in den 1950er und 1960er Jahren versucht, alle Forderungen nach Einheit zum Schweigen zu bringen und mit Füßen zu treten. Jeder, der von Souveränität sprach, wurde als Terrorist behandelt. Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist dieses Thema aktueller denn je: Das Leben der Menschen hier ist gelähmt, und Familien werden in Zeiten der Pandemie getrennt. Der Wunsch der Briten, Nordirland ein für sie geeignetes Abkommen aufzuzwingen, ist ein Weg, ihre imperialistische Hegemonie zu sichern. Die Tatsache, dass die Briten bereit sind, ein gewisses Maß an irischer Einheit zuzulassen, ist ein Zeichen des Imperialismus, kein demokratischer Ansatz. Und das ist unsere Meinungsverschiedenheit mit den irischen Republikanern: Sie stellen Anträge an Washington, London und die Europäische Union. Und wir haben argumentiert und werden auch weiterhin argumentieren, dass der Imperialismus keine Freunde hat. Sein einziges Interesse besteht darin, seine eigenen Ziele zu verfolgen. Wir müssen also diesen Unsinn vergessen – wir haben keine »Freunde in Europa«. Es gibt Partner mit egoistischen Interessen. Und jedes Abkommen mit den Briten wäre ein Sieg des britischen Imperialismus. Die Briten sind sehr besorgt über eine mögliche Vereinigung von Irland, denn eine der Säulen der britischen Politik ist der Unionismus, die Unterstützung der anglikanischen Gemeinschaft in Nordirland. Wenn Irland eines Tages vereint wird, werden sie sich neue Verbündete suchen müssen.

Was ist die Rolle der katholischen Kirche dabei?

Im Jahr 1921, als Irland geteilt wurde, stellte sich die katholische Kirche gegen den Kampf für die Unabhängigkeit. James Connolly schrieb, die Teilung Irlands habe zu einer Reaktion geführt. Er war sich über die Kräfte im klaren, die damals innerhalb der Gesellschaft wirkten. Es gab konservative Kräfte in der Irischen Republik und den reaktionären Unionismus, den Protestantismus im Norden des Landes. Als die Republik Irland 1921 gegründet wurde, bestritt ein großer Teil der Bevölkerung die Existenz eines separaten Südstaates und strebte die Einheit des Landes an. Alle proimperialistischen herrschenden Kreise in der irischen Gesellschaft nutzten anschließend die katholische Kirche, ihre Macht und ihren Einfluss, um Republikaner und Kommunisten zu kleinzureden. Sie benutzten die katholische Kirche, um radikale Ideen zu marginalisieren. Wenn die Gesellschaft radikale Ideen an den Rand drängt, ersetzt sie diese unbemerkt durch extrem konservative und reaktionäre Ideen. Dies war seit den 1920er bis in die 1980 und 1990er Jahre der Fall – die Konsolidierung der Gesellschaft war zutiefst reaktionär.

Wie kam es dazu, dass Ihr Parteizentrum in Dublin nicht nur als politischer Standort, sondern auch als kultureller Treffpunkt bekannt ist?

Die Pandemie hat uns dazu gedrängt, mit unserem Buchhandel »Connolly Books« online zu gehen. Wir haben viele Bücher von unseren Klassikern – Werke von Marx, Engels und Lenin – im Angebot. Es gibt auch Bücher zu aktuellen politischen Themen im Zusammenhang mit der globalen Umweltkrise und den Klassenkämpfen unserer Zeit oder über den antiimperialistischen Kampf in Lateinamerika, Asien, Afrika. Wir haben Bücher zur irischen Kultur, Werke der großen irischen Schriftsteller James Joyce und Samuel Beckett. Zudem hat unsere Buchhandlung ein kleines Café, wir haben auch ein eigenes Theater. Kultur ist wichtig für uns. Ohne Kultur gibt es keine wirklich radikale Bewegung. Sie hilft der kommunistischen Idee, sich zu entfalten. Ohne kreative Wahrnehmung ist kommunistische Politik unmöglich.

Unsere kulturellen Aktivitäten sind durch die Pandemie gelähmt worden, aber wir können nicht alles auf das Virus schieben. Es ist nicht die Pandemie, die Obdachlosigkeit schafft. Sie legt nur das Problem des Mangels an Sozialwohnungen offen. Es ist nicht die Pandemie, die schlecht bezahlte und ungeschützte Arbeit geschaffen hat. Sie hat lediglich die bestehenden Missstände offenbart. Dasselbe gilt für das Gesundheitssystem. All diese Probleme gab es schon lange vor der Pandemie. Deshalb nutzen wir die Situation, um den Unterschied zwischen Privat- und Planwirtschaft aufzuzeigen. Wir setzen die Pandemie und ihre Folgen als ideologische Waffe gegen die herrschende Klasse ein.

Wie beurteilen Sie die russisch-irischen Beziehungen?

Die irischen Beziehungen zur UdSSR und zu Russland haben eine lange diplomatische Tradition. Russland ist nicht mehr das, was es unter Jelzin war; es dient dem westlichen Imperialismus nicht in gleichem Maße wie zu seiner Zeit. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten sehen Russland heute eher als Bedrohung, als einen Spiegel ihrer eigenen imperialistischen Hegemonie. Sie sind damit beschäftigt, farbige Revolutionen in den ehemaligen Sowjetrepubliken zu finanzieren. Die Unruhen in Belarus sind das jüngste Beispiel dieser Art. Außerdem fördern die Imperialisten ethnische Konflikte, wie wir es in Aserbaidschan und Armenien beobachten können. Sie versuchen, Russland auch unter dem geringsten Vorwand zu destabilisieren. Es handelt sich um ein Land, das reich an Öl, Gas und Mineralien ist, und die westlichen Imperialisten wollen diesen Reichtum für sich haben. Russland ist von imperialistischen Mächten umzingelt, und es ist wichtig, das zu verstehen. Aber die Fakten und die einzelnen Anschauungen zu begreifen, bedeutet nicht, dass man ihnen zustimmt: Wenn Sie versuchen nachzuvollziehen, was Präsident Putin tut und warum, sollte das nicht bedeuten, dass Sie alle seine Ansichten teilen.

Wie sieht der äußere Rahmen für die politische Arbeit der Kommunistischen Partei Irlands aus?

Die Kommunistische Partei Irlands arbeitet legal. Wir haben keine Vertreter in den Parlamenten und beschränken uns auf unseren Einfluss innerhalb der Arbeiterbewegung. Wir organisieren soziale Aktionen, die sich mit Schwerpunktthemen der Gesellschaft auseinandersetzen, und ziehen die Grenze zwischen Transformation und Reformismus. Eine Reform ist keine Rettung, wir müssen offensiv handeln. Hier nur ein Beispiel: Um das Wohnungsproblem zu lösen, fordern die Reformer erschwinglichen ­sozialen Wohnraum, während unsere Forderung nach einer Transformation darin besteht, öffentlichen Wohnungsbau zu schaffen und die Macht von privaten Immobilien- und Investmentfonds am Wohnungsmarkt in Frage zu stellen. Unsere Vorstellung ist ein direkter Angriff auf das Spekulantentum. Und wir arbeiten sorgfältig an unserer Kommunikationspolitik, beteiligen uns aktiv in sozialen Netzwerken.

Eugene McCartan …… ist Generalsekretär der Kommunistischen Partei Irlands (Communist Party of Ireland). Die CPI ist eine marxistische Partei, die sowohl in Irland als auch in Nordirland aktiv ist. Sie wurde als Sozialistische Partei Irlands 1921 gegründet. In ihren Gründungsjahren litt die CPI unter Verfolgungen, ihre Geschäftsräume wurden mehrmals niedergebrannt.

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