Renditebringer aus dem Bunker
Von Daniel Bratanovic»Schlechte Weinlese in Baden«, »Wein aus Niedersachsen darf kein niedersächsischer Wein sein«, »Wolfgang Kubicki trinkt gern Wein ab 10 Uhr«, »Auf A 96 kontrolliert. 34 Weine für 31.000 Euro nicht verzollt«. Wer in diesen Tagen bei der »News«-Recherche der Suchmaschine Ergebnisse zum Stichwort »Wein« entlocken will, gelangt zu solchen Meldungsüberschriften. Bei der FAZ hat man derweil ganz andere Sorgen. »Ich kaufte Wein, als wäre ich der große Gatsby«. Und: »Wein ist das Luxusgut der Stunde«.
Der chronische Überhang akkumulierten Kapitals muss wieder abfließen und soll weitere Gewinne abwerfen, weil ja schließlich nicht jeder so rein dem Geldfetisch huldigen kann wie Dagobert Duck beim Talerbad in seinem Geldspeicher. Eine lästige und mühsame Aufgabe für den bemitleidenswerten Besitzer solchen Überschusses an Pecunia. Unter Schlagzeilen wie »Der Geschmack des Geldes«, »Flüssige Rendite« oder gleich ganz schnöde »Wie Sie mit Wein richtig reich werden können« lässt sich erfahren, dass der Rebensaft als Anlageobjekt richtig gut läuft. Laut Knight Frank Luxury Investment Index ließ sich zwischen Anfang Juli 2020 und Ende Juni 2021 mit Wein eine Rendite von 13 Prozent erzielen, deutlich mehr als mit Luxusuhren, Autos, Diamanten, Kunstwerken oder Handtaschen von Hermés. Während die Verluste an den Börsen zu Beginn der Coronakrise im zweistelligen Prozentbereich lagen, fiel der Weinindex Liv-Ex nur um vier Prozent. Das 1999 eingeführte Portal London International Vintage Exchange listet die Preisentwicklung der hundert höchstbewerteten Weine auf – gut 90 Prozent davon sind Bordeaux-Gewächse, der Rest kommt aus Burgund, Champagne, Rhône und Italien. Edler Wein erweist sich, von den Turbulenzen an den Finanzmärkten nicht zu erschüttern, als stabile Wertanlage.
Ein Befund, der die Bürgerzeitung, die sich ernsthaft die Frage stellt, wie das exklusive Wissen um den flüssigen Renditebringer »demokratisiert« werden kann, zum Ratgeber macht. Omas Kellervermächtnis allerdings erweist sich in aller Regel nicht als unverhoffter Schatz. Das »Wein-Info-Portal« ps-wein.de gibt an, dass dort beinahe täglich die Frage »Wieviel ist mein Wein wert?« einlaufe. Die ernüchternde Antwort: »Leider sind diese Kellerfunde meist wertlos. Es handelt sich überwiegend um schlichte Tropfen von namenlosen Weingütern aus durchwachsenen Jahrgängen und Anbaugebieten, die nur bedingt für langlebige Weine bekannt sind.« Dann besser gleich richtig machen. Bei weinkenner.de heißt es: »Wer auf der sicheren Seite sein möchte, wendet sein Augenmerk auf die Regionen Bordeaux und Burgund. Die nähere Vergangenheit lässt erkennen, dass (…) Château Pétrus, Château Rothschild und Château Cheval Blanc enorme Wertsteigerungen durchlaufen haben und um die 15.000 Euro gehandelt werden. Aktuelle Jahrgänge belaufen sich auf 1.000 bis 2.000 Euro. Weine aus diesen Lagen haben durchaus Blue Chips-Potential.«
Wer solche Flaschen mit »Blue Chips-Potential« erwirbt, legt sie sich vermutlich nicht in die Abstellkammer. Octavian Vaults verspricht dagegen sichere Verwahrung. Das Unternehmen betreibt in einer ehemaligen Mine in der Nähe der englischen Kleinstadt Chippenham, etwa zwei Stunden westlich von London, einen der größten Weinkeller Europas, bewacht wie Fort Knox. Hier lagern Investoren, Auktionshäuser und Millionäre rund sechs Millionen Flaschen Wein, Champagner, Portwein und Sherry im Wert von etwa 1,5 Milliarden Dollar. Der Verzehr dieser Tropfen spielt keine Rolle.
Am Ende nahezu aller Artikel zum Thema »Wein als Wertanlage« erfolgt der verschämte und beinahe einsilbige Hinweis, der Wein solle doch vor allem Genuss und nicht bloß Rendite versprechen. Orte wie der Bunker bei Chippenham beweisen indes, dass in dieser grundfalsch eingerichteten Welt das Verhältnis von Genuss und Wert auf den Kopf gestellt ist.
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