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Aus: Feminismus, Beilage der jW vom 08.03.2023
Feminismus

Fortschritt statt Kosmetik

Am Kern vorbei: Bürgerliche Politik trägt nicht zu Entlastung von Frauen bei
Von Ina Sembdner
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Bei Gedränge (Scrum) schieben sich die zwei Teams gegenseitig vom am Boden liegenden Ball weg

Auch im Jahr 2023 muss konstatiert werden, dass es mit der Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland nicht sehr weit her ist – allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Statt jedoch im eigenen Haus für Bewegung zu sorgen, treiben Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) vermeintlich feministische Außen- und Entwicklungspolitik voran. Dabei weiß frau hierzulande gar nicht, wo sie anfangen soll: Lohngefälle, Diskriminierung im Job und anderswo, alltägliche geschlechtsspezifische Gewalt, überproportionale Verantwortung für Sorge- und Pflegearbeit …

Bildung ist auch ein gutes Stichwort: Wenn Feminismus damit gleichgesetzt wird, dass »Macht weiblich wird« (Titelseite des Freitag vom 3. März), oder Baerbock und Schulze davon fabulieren, dass »feministische« Entwicklungspolitik bedeute, das Klo eben nicht an den Rand des Dorfes, sondern im Zentrum bauen zu lassen, dann erinnert das nicht nur an übelstes koloniales Gebaren. Es verengt zudem den Blick darauf, was es wirklich braucht, um Frauen und andere aufgrund ihres Geschlechts diskriminierte und benachteiligte Menschen zu gleichgestellten Bürgerinnen ihrer jeweiligen Gesellschaften zu befördern: ein Umfeld ohne patriarchale Unterdrückungsstrukturen und ohne (vom kapitalistischen Ausbeutungssysstem angefachte) Gewalt, statt dessen finanzielle Unabhängigkeit und körperliche wie gesellschaftliche Selbstbestimmung. Das wäre jedoch schwer zu kontrollieren – sowohl vom Patriarchat als auch vom Kapital. Es bleibt also bei vermeintlich wirksamen kosmetischen Ansätzen, um feministische Progressivität vorzutäuschen.

Neben der Kriegstreiberei – die nebenbei bemerkt vor allem Frauen trifft – sind die Grünen auch sonst für jede Politposse zu haben. Gitta Düperthal beleuchtet in ihrem Text den Kampf um störungsfreie Schwangerschaftsberatung, der von den Grünen in Hessen dazu benutzt wird, sich einerseits zu profilieren, während ihre Vertreterinnen gleichzeitig »vergessen«, dass sie in Regierungsverantwortung rechtlich durchaus etwas für den Schutz der Betroffenen vor »Fundis« tun könnten. Auch das Selbstbestimmungsgesetz, zu dessen Entwicklung Janka Kluge in ihrem Artikel »Es wird Zeit« schreibt, liegt seit längerem auf Halde.

Mehr Hoffnung kann manchmal die Geschichte geben. Carmela Negrete beleuchtet in ihrem Text »Für eine feministische Republik« die Frauenbewegung in Spanien. Das Erbe autonomer Gesellschaften und streikender Zigarrenfabrikarbeiterinnen der Ersten Republik wird noch heute erkennbar in den feministischen Kämpfen, die in jüngster Zeit zu beachtlichen Erfolgen geführt haben – wenn auch immer noch unter dem Dach der Monarchie. Einer solchen muss sich auch die Unabhängigkeitsbewegung der Westsahara seit nunmehr 50 Jahren erwehren. Dem jüngst erschienenen Buch der Ethnologin Sophie Caratini zu diesem Kampf und dessen Hintergründen widmet sich Jörg Tiedjen in dieser Beilage. Denn auch hier waren und sind es maßgeblich Frauen, die Macht herausfordern. Das gleiche gilt für Kommunistinnen, denen Francisca de Haan als Herausgeberin ein Buch gewidmet hat. Im Gespräch mit Florence Hervé spricht sie über ihr Projekt und warum es notwendig ist, diese Vorkämpferinnen ins Bewusstsein zu rücken.

Die Muxes und Mariamachas – Geschlechter in Mexikos Juchitán jenseits der Binarität Mann/Frau – fordern ebenfalls Patriarchat und Machismo in ihrem Heimatland heraus. Annuschka Eckhardt hat sich auf Reisen begeben und spürt diesem Aufbrechen traditioneller Geschlechterrollen nach, das bereits tief in die Geschichte zurückreicht – mitnichten also als modisch-»wokes« Phänomen abgetan werden kann.

Es bleibt jedoch zum Schluss die knallharte Realität, der sich Claudia Wrobel in ihrem Text »Strukturell benachteiligt« widmet. Wie eingangs erwähnt, lassen Zahlen und Statistiken keinen Spielraum für wohlwollende Interpretationen. Es bleibt also dabei: Feministinnen aller Länder, vereinigt euch!

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

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