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Aus: Erster Mai, Beilage der jW vom 27.04.2024
Metall- und Elektroindustrie

E-Autos, Schrott und die IG Metall

Auseinandersetzungen bei »Gigafactory« von Tesla in Brandenburg und SRW Metalfloat in Sachsen sind Lehrstücke für klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik
Von Emil Bunke
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Zwischendurch Belustigung: Der sächsische Ministerpräsident besucht die streikenden Recycler (Espenhain, 29.2.2024)

Aktuell werden in der Metall- und Elektroindustrie zwei Konflikte geführt, die sowohl von den eingesetzten Ressourcen als auch von der Tragweite des möglichen Ergebnisses herausstechen. Der Kampf der IG Metall gegen die Untergrabung der gängigen Arbeitsbedingungen in der deutschen Automobilindustrie in der Tesla-»Gigafactory« Berlin-Brandenburg ist der eine. Ein Teilerfolg wurde bei der Betriebsratswahl im März dieses Jahres errungen. Der andere bedeutende Konflikt ist der mittlerweile längste Streik der deutschen Geschichte bei den Schrottrecyclern und -recyclerinnen von SRW Metalfloat in Espenhain bei Leipzig. Am 1. Mai werden sie seit 176 Tagen im Streik sein. Mit einem unbefristeten Ausstand versuchen die Kolleginnen und Kollegen, die Kapitalseite an den Verhandlungstisch für einen Tarifvertrag zu bekommen.

Tesla untergräbt die Standards

Elon Musks einzige Tesla-Produktionsstätte in Europa wurde bewusst in Grünheide und somit in der Nähe zu Berlin und zu Polen und in Ostdeutschland hochgezogen. Bei den Verhandlungen mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) hatte der US-Milliardär wohl die Nähe zu Berlin, den notwendigen Platz und den Ökostrom in Brandenburg angeführt. Wieviel Tesla die Umwelt bedeutet, hat der US-Konzern beim Bau seiner Fabrik in einem Wasserschutzgebiet, durch wiederholte Skandale wegen Verschmutzungen des Bodens und nicht zuletzt durch die Ankündigung, nun doch vermehrt Erdgas zur Stromgewinnung nutzen zu wollen, deutlich bewiesen. Auch die notwendige Fläche hätte es wohl an vielen Orten gegeben. Nicht auszuschließen also, dass andere Überlegungen die entscheidende Rolle für den Standort gespielt haben. Die Arbeitsbedingungen in der »Gigafactory« unterscheiden sich nämlich grundlegend von denen in der sonstigen deutschen Automobilindustrie: Die Löhne sind geringer, der Arbeitsschutz ist schlechter, und die gewerkschaftliche Arbeit wird stark behindert.

Tesla hatte sich zum Ziel gesetzt, das günstigste Elektroauto der Welt zu produzieren. Aktuell fertigt das noch der chinesische Hersteller BYD. Musk hat in Aussicht gestellt, das günstige Tesla-Modell auch in Grünheide für den europäischen Markt herstellen zu lassen. Doch der Preis einer Ware bestimmt sich maßgeblich durch die für die Produktion notwendigen Lohnkosten. Da die Löhne in der deutschen Automobilindustrie durch langjährige Kämpfe im internationalen Vergleich sehr hoch und die Arbeitsbedingungen sehr gut sind, muss eine der wichtigsten Aufgaben des Tesla-Managements gewesen sein, die Arbeitsbedingungen und die durchschnittlichen Löhne der deutschen Automobilindustrie deutlich zu unterschreiten. Das ist ihm gelungen. Der Vertrauenskörperleiter von VW Wolfsburg, Florian Hirsch, sprach in einer Grußbotschaft an die Tesla-Beschäftigten von 22 Prozent Lohnunterschied, und das, obwohl die Kollegen bei Tesla pro Woche drei Stunden mehr arbeiten müssen als die VW-Belegschaft.

Durch Lohnentzug bei Krankheit, kurzfristige Entlassungen, eine eingeschränkte Urlaubsplanung und sehr kurze Taktzeiten spart Tesla weitere Lohnkosten. Es ist zu vermuten, dass die Wahl des Standorts auch mit der Möglichkeit dieser Kürzungsmaßnahmen zusammenhängt. Auffällig ist, dass die Belegschaft bei Tesla zum Großteil nicht aus Facharbeiterinnen und Facharbeitern besteht, sondern oftmals aus Lohnabhängigen, die sonst keine Perspektive mehr auf dem Arbeitsmarkt haben. Es ist auch auffällig, dass täglich ein Teil der Belegschaft aus Polen mit Bussen in die Fabrik gefahren wird. Die Wahl Ostdeutschlands als der tarifschwächsten Region der BRD, in der beispielsweise die 35-Stunden-Woche noch nicht überall in der Metall- und Elektrobranche durchgesetzt ist, geringere Löhne gezahlt werden und eine höhere Erwerbslosigkeit herrscht, dürfte kein Zufall gewesen zu sein.

IG Metall schickt Tesla-Team

Die IG Metall hat den geplanten Angriff auf die erkämpften Arbeitsbedingungen in der Automobilbranche frühzeitig erkannt und ein Tesla-Team direkt am Bahnhof Fangschleuse vor dem Werkgelände installiert. Der Zugang der Gewerkschaft zum Werkgelände wurde vom Management immer wieder stark be- und verhindert. In den USA war der Gewerkschaftsfeind Elon Musk damit bisher erfolgreich. In Grünheide ist bei einer Großaktion der IG Metall im Oktober 2023 nun erstmals der gewerkschaftliche Zugang auf das Betriebsgelände gelungen. Mehr als 1.000 Beschäftigte haben sich in der Aktionswoche durch Textilsticker klar als Gewerkschafter zu erkennen gegeben, und IG-Metall-Hauptamtliche haben in Kleingruppen mehrfach das Werkgelände betreten, auch wenn es hier immer wieder zu Behinderungen und Schikanen kam. Im März trat eine IG-Metall-Liste zu den Betriebsratswahlen an, sie bekam mehr als 3.500 Stimmen und wurde somit stärkste Liste. Doch der Kampf geht weiter, da Tesla schon jetzt mit vielen Tricks versucht, die Gewerkschafter im Betriebsrat zu spalten, sie von der Belegschaft zu isolieren oder umzudrehen. Internen Quellen zufolge wäre es nicht das erste Mal, dass dies gelänge. Allerdings sei die Liste der IG-Metall-Mitglieder mittlerweile sehr lang, und die Kolleginnen und Kollegen seien gut vorbereitet und stünden zusammen. Sie sind mit dem Ziel angetreten, einen Betriebsrat zu bilden, der ohne Wenn und Aber auf der Seite der Belegschaft steht und nicht bei Gegenwind umkippt. Ihnen sind die Daumen zu drücken!

Chinesischer Investor blockiert

Im März 2023 entschieden sich die Kolleginnen und Kollegen von SRW Metalfloat in Espenhain bei Leipzig dafür, ihre Arbeitsbedingungen deutlich zu verbessern. Das Unternehmen gehört als 100prozentige Tochter zur Scholz-Recycling-Gruppe mit Sitz in Essingen. Über dieser wiederum steht die chinesische Chiho Environmental Group. Mit der Rückgewinnung von Metallen wie Kupfer, Aluminium und Eisen erwirtschaftet die Scholz-Gruppe jährlich Umsätze in Milliardenhöhe.

Die sächsischen Schrottrecycler wollten es nicht länger hinnehmen, dass sie 40 Stunden in der Woche hart schuften müssen für einen Lohn, der knapp 600 Euro unter dem der Beschäftigten vergleichbarer Betriebe liegt. Sie forderten deswegen acht Prozent mehr Lohn, die 38-Stunden-Woche und die Erhöhung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes auf je 1.500 Euro. Nach anfänglich konstruktiven Verhandlungen zwischen der IG Metall und dem Unternehmen brach die Kapitalseite die Verhandlungen abrupt ab.

Nach fünf Warnstreiks sagte das Tarifkommissionsmitglied von SRW in Espenhain, Thomas Dirschowsky, am 2. November 2023: »Unsere Kolleginnen und Kollegen sind streikbereit, um für mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.« Es folgte am 6. November eine Urabstimmung, bei der sich 89,3 Prozent der IG-Metall-Mitglieder für einen unbefristeten Streik aussprachen. Die Geschäftsführung wurde nervös; sie engagierte eine externe Sicherheitsfirma, die vor dem Werktor patrouillierte, und stellte vor dem Tor eine Wand aus Schrottcontainern auf. Am 8. November um 3.30 Uhr traten die Kolleginnen und Kollegen der Nachtschicht dennoch in den unbefristeten Streik. Mehrere IG- ­Metall-Hauptamtliche waren in der Nacht im Einsatz, um den nötigen Platz für das Streikzelt zu verteidigen und den Sicherheitsdienst zu besänftigen.

Aufgeben ist keine Option

Doch die Verweigerungshaltung des Unternehmens hält nun seit beinahe einem halben Jahr an. Der China-Experte Stefan Schmalz von der Universität Erfurt hält dies für untypisch. Er betonte in einem Interview mit der IG Metall Leipzig Ende Februar, dass die meisten chinesischen Unternehmen kompromissbereit gegenüber den deutschen Gewerkschaften seien. Es bleibt die Frage, ob die Chiho Environmental Group eine Ausnahme darstellt oder ob hier eine neue Politik Chinas auf dem deutschen Markt eingeläutet wird. Die IG Metall Leipzig und eine Delegation der Schrottrecycler aus Espenhain schienen auf ersteres zu hoffen, als sie im März in Berlin einen offenen Brief an den chinesischen Botschafter überreichten, in der Hoffnung, dass dieser sich für die Streikenden einsetzt. Auch zahlreiche Politiker aller Parteien waren vor Ort, um das sozialpartnerschaftliche Modell in Deutschland zu verteidigen. Mitte April wurde ein Entwurf für einen Haustarifvertrag an die Kapitalseite übersandt und an deren eignen Unternehmenskodex appelliert, in dem steht, dass das Recht auf Tarifverhandlungen respektiert wird.

Die Streikenden erfahren aber auch Solidarität von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus der Region und weit darüber hinaus. An der »Wand der Solidarität« im Streikcontainer häufen sich die Solidaritätsschreiben, und es gibt auch immer wieder größere Spendensammlungen, um das Streikgeld der SRW-Kollegen aufzubessern. Kathrin Kroll, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei SRW, bedankte sich bei einer Spendenübergabe mit den Worten: »Die solidarischen Grüße stärken uns so den Rücken und geben uns Durchhaltevermögen.« Wie der längste Streik der deutschen Geschichte ausgehen wird, bleibt ungewiss. Aufgeben scheint aber ausgeschlossen zu sein. »Ich meine: Reingehen ist auf jeden Fall keine Option mehr«, sagte ein SRW-Arbeiter im »Tagesschau«-Interview Mitte März, und seine Kollegen ergänzten: »Auf keinen Fall. Auf keinen Fall. Wir ziehen das durch!«

Internationalismus ist nötig

In beiden Konflikten wird deutlich: Die Sozialpartnerschaft – also die Vorstellung, dass die Ausbeuter und Ausgebeutete trotz ihrer Interessenunterschiede partnerschaftlich zusammenarbeiten könnten – ist eine Illusion. Die Kapitalseite hält sich an ihre eigenen Regeln und die auch von den Gewerkschaften großgeschriebene Sozialpartnerschaft nur, solange es ihr in der Profitmaximierung nützt. Die Zeiten werden härter und somit auch die Jagd nach den Extraprofiten auf dem ganzen Globus. Tarifverträge und Betriebsratsstrukturen gelten als hinderliche Bremsklötze, die den Kapitalverkehr verzögern. Arbeitskräfte sind gerade im Niedriglohnsektor leichter austauschbar, und gerade kämpferische Kolleginnen und Kollegen werden deswegen immer schneller entlassen und ersetzt. Die Sicherheiten, die Tarifverträge durch teilweise lange Friedenspflichten auch für das Kapital mit sich bringen, verlieren so an Bedeutung. Den Beschäftigten ist es dabei egal, ob ein chinesischer Investor, ein US-amerikanischer Multimilliardär oder ein deutscher Mittelständler die Löhne drückt und die Tarifbindung verhindert. Das Kapital agiert international, während die gewerkschaftliche internationale Vernetzung und Solidarität noch mangelhaft ist. Gerade bei SRW und Tesla wird deutlich, dass eine länderübergreifende Zusammenarbeit der Beschäftigten die Durchsetzungskraft deutlich erhöhen würde. Das Fehlen von klassenkämpferischen internationalistischen Gewerkschaftsstrukturen wird so immer deutlicher. Der Ruf nach Gewerkschaften, die sich keinen Illusionen über bürgerliche Staaten und angebliche Sozialpartner hingeben, die sich nicht von Standortlogik und Nationalismus treiben lassen und die keine Angst davor haben, auf ihre Transparente nicht nur die Forderung nach höheren Löhnen zu schreiben, sondern das ausbeuterische kapitalistische System als solches anzugreifen, sollte lauter werden. Der Keim dieser Organisationen steckt zweifelsohne in den DGB-Gewerkschaften, und die beiden aktuell laufenden Konflikte sind Lehrstücke für uns.

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