Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Literatur (Buchmesse Frankfurt), Beilage der jW vom 16.10.2024
Literatur

Achtung, wichtig

Dekorierter Inhalt: Rachel Eliza Griffiths’ pastoser Roman »Was ihr uns versprochen habt«
Von Stefan Gärtner
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Die Angewohnheit, Bücher erst mal hinten aufzuschlagen, kommt in Zeiten zu ihrem Recht, da eine ausführliche Danksagung zum Repertoire gehört. Bei Rachel Eliza Griffiths, deren Status als Ehefrau Salman Rushdies hier angezeigt werden darf, weil der Umstand noch bedeutsam werden wird und sie in den USA eine arrivierte Künstlerin und Lyrikerin ist, beschließt sie den Debütroman »Was ihr uns versprochen habt« über die tolle Länge von dreieinhalb Druckseiten: »Die Liebe meiner Mutter und meines Vaters sind (!) das Rückgrat, das mich aufrecht hält und mich atmen lässt. Mom, du hast mir beigebracht, wie man liebt. Ich zeige es der Welt. Dad, deine ehrliche Aufmerksamkeit, Fürsorge und Unterstützung leiten mich auch heute noch, wenn ich ängstlich bin. Ich werde nie vergessen, wie sehr ihr an ein Leben geglaubt habt, das durch Worte und Taten bestimmt ist. Die Sprache, die ich als Tochter und als Frau spreche, stammt aus eurer Liebe zueinander und zu unserer Familie. Ich liebe euch beide für immer.« Menschen, deren Porzellan keinen Sprung hat, sagen derlei allenfalls privat; doch hier spricht auch nicht irgendein Honk von nebenan, sondern eine Künstlerin, die weiß, wie schwer die Worte wiegen, zumal die eigenen: »Salman, lass uns dieser unmöglichen Welt mit unserer Liebe beweisen, dass nichts unmöglich ist. Ich liebe dich von ganzem Herzen, mit jeder Geschichte, die je in mir lebte, und mit jeder Geschichte, die noch kommen mag. Salman – meine Freude, mein Zuhause, mein Traum und mein Wunder. Für immer.«

Der Rezensent hütet sich natürlich, zwischen Autorin und Erzählung nicht zu trennen, und darf sich dazu beglückwünschen, den Roman über die Geschichte zweier Schwestern, die in den späten 1950ern in die schwarze Bürgerrechtsbewegung hineinwachsen, ordnungsgemäß vorn begonnen zu haben und voreingenommen bloß durch die eitlen Autorinnenfotos gewesen zu sein. Eitel ist die Erzählung nun aber ebenfalls, sie hört sich gern reden, und das Pathos, das sich ergibt, wenn eine Dichterin Wichtiges mitzuteilen hat, lässt die Sätze wie vollgesogen zu Grund sinken, selbst wenn sie von einer Fünfzehnjährigen stammen, was im Deutschen gleich noch mal so amtlich klingt: »›Wir wissen, wie es um unsere Bürgerrechte steht‹, sagte Ezra«, und man darf annehmen, dass auch die Autorin nicht vergessen will, wie es 1957 um die Bürgerrechte stand und wieviel da noch im argen liegt. Da ist dann kein Platz für Ironie, Humor oder was immer sonst zur Verfügung steht, um kenntlich zu machen, dass sich nie ganz ins Wort erlöst, was Menschen umtreibt, und dass es vielleicht sogar darum geht, ebendas ins Wort finden zu lassen.

Davon weiß die mit Lyrikpreisen behängte Griffiths verblüffenderweise nichts; ihr Wort, noch einmal, hat Gewicht, und der Sound ist dann dieser: »Mit acht oder neun Jahren rebellierte Ruby gegen die Glaubenssätze ihrer Mutter. (…) Wenn sie ans Fliegen dachte, konnte Ruby ihre eigene Seele hören. (…) Bilder in ihrem Kopf halfen ihr dabei, Leerstellen in ihrem Leben zu füllen.« Man kann, lehrte Walter Benjamin, mit der Sprache schreiben oder in der Sprache, und wenn Griffiths schreibt, ist es preziös dekorierter Inhalt. Das lässt den Text nicht von der Leine; er wird zur Verlautbarung und macht ihn, auf der formalen Ebene, so pastos und fade, wie es werden muss, wenn eins sich dem verpflichtet fühlt, was Robert Gernhardt »Kunscht« genannt hat, die es, gegen das Klischee, auch im unterhaltungsbewussten Amerika gibt: »Doch ich war sensibel, und Miss Burden hatte diese Eigenschaft in mir erkannt. Sie lieh mir ihre Bücher und erstellte komplexe Leselisten, die meinem Hunger nach Geschichten gerecht wurden.« Auch das mag im Deutschen noch einmal unsympathischer klingen, und apropos mag man von der jüngeren Achtsamkeitsmode, heikle Wörter nur mehr durchgestrichen zu schreiben, halten, was man will, aber aus den »nigger girls« einer schwarzen Erzählerin, die die Perspektive ihrer weißen Umgebung übernimmt, beflissen »Niggermädchen« zu machen ist schon darum grotesk, weil die schlimmere Variante des N-Worts im deutschen Sprachraum kein bisschen gängig ist. Und also Literatur.

So treffen sich in der deutschen Fassung von »Promise« zwei Missverständnisse: dass Kunst sei, Erbauliches erbaulich mitzuteilen, und dass Erzähltes nicht unkommentiert zum Publikum durchgestellt werden dürfe. Dann muss man’s aber, bitte sehr, erst gar nicht erzählen, wobei sich Griffiths’ Roman über die Gründe, aus denen es ihn gibt, auch keine Rechenschaft ablegt: Dass eine gefeierte Lyrikerin beweist, auch hohe Prosa zu beherrschen (»… während wir uns unsere Brote und unser Obst schmecken ließen«), und dass man von Rassismus und dem Kampf dagegen nicht oft genug berichten kann, muss reichen. Falls nicht als guter Extra­grund durchgeht, dass »Promise« den Verdacht erhärtet, im Ehepaar Rushdie/Griffiths hätten sich zwei gefunden. Über Rushdies schwer selbstverliebtes Buch »Knife«, das die Geschichte des Attentats auf ihn erzählt (und in dem die Gattin bereits als überragend talentierte, aufopferungsvolle, einmalige »Superheldin« vorkommt), hieß es hier zuletzt (junge Welt vom 11./12.5.2024): »Nein, die liberal-bürgerliche Welt, in der und für die Rushdie arbeitet, ist wirklich so unerschütterlich von ihrer Sendung überzeugt, wie es Fontane schon ungut auffiel«, und das gilt für »Was ihr uns versprochen habt« genauso. Dass der Rezensent lieber Fontane liest und weit vor der Zeit abgeschaltet hat, soll man ihm nachsehen.

Rachel Eliza Griffiths: Was ihr uns versprochen habt. Aus dem amerikanischen Englisch von Jasmin Humburg. Penguin-Verlag, München 2024, 368 Seiten, 25 Euro

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