Das Schönste ist das Einfache
Von Kai Köhler»Eine ungemein widerwärtige Figur«, gar ein »neuer Horst Wessel«: mit diesen in Zitatform hergezeigten Wertungen schließt die Onlineenzyklopädie Wikipedia ihren Eintrag zu Kurt Barthel ab. Der gesamtdeutsche Kulturbetrieb verzeiht zwar Schriftstellern einen gewissen Grad an Kommunismus. Doch müssen sie dafür in irgendeiner Diktatur umgekommen sein oder gegen den sozialistischen Staat opponiert haben. Barthel hingegen kann beides nicht aufweisen. Er kam aus der Arbeiterklasse und hat sich nie einen Gestus angeeignet, der als bildungsbürgerlich zu vereinnahmen gewesen wäre; er überstand die Emigration nach 1933 relativ unbeschadet; vor allem ließ er danach keinen Zweifel daran, dass die DDR sein Staat war. Das betrifft sein Werk ebenso wie die Ämter, die er übernahm, vom Mandat in der Volkskammer über den Vorsitz des Schriftstellerverbands bis hin zur Mitgliedschaft im ZK der SED.
Und da gibt es noch den Fauxpas von Brecht, der dem Gegner nützlich war, darum tradiert wird und das Bild von Barthel bis heute prägt. Nach den Auseinandersetzungen vom 17. Juni 1953 hatte Barthel die am Aufstand beteiligten Bauarbeiter, in der Tat ungeschickt, gemahnt, sie würden vieles wiedergutmachen müssen, um das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. Brechts höhnischer Vorschlag, die Regierung solle doch besser das Volk auflösen und ein anderes wählen, traf, gut materialistisch, die moralisierende Schwäche von Barthels Appell. Dessen ganzem Denken wurde er nicht gerecht.
2021 hat im Verlag Neue Impulse Jochen Barthel Erinnerungen von Mitstreitern an den Schriftsteller herausgegeben. Nun hat Raimund Ernst eine Auswahl von Schriften und Gedichten zusammengestellt, die einen Überblick über das im Buchhandel nicht mehr erhältliche Werk erlaubt. In dem Band findet sich unter dem Titel »Unsere Aufgaben« auch ein Referat, das Barthel am 16. Juli 1953, also einen knappen Monat nach den genannten Ereignissen, vor dem erweiterten Vorstand des Schriftstellerverbands der DDR hielt. Hier benennt er die Fehler, die den Aufstand begünstigten. Vor allem zieht er Konsequenzen für die Arbeit von Schriftstellern und Literaturkritik. Er warnt vor einer schematischen Anwendung der Begriffe »Sozialistischer Realismus« (positiv) und »Formalismus« (negativ) und vor einem administrativen Durchgriff auf die Literatur, zu dem auch die Methode gehöre, mittels schlimmstenfalls zielgerichtet ausgewählter Stimmen von Werktätigen Kulturpolitik zu betreiben. Sozialistische Literatur vermag nur zu überzeugen, wenn sie als Literatur überzeugt.
Dabei ließ Barthel niemals Zweifel daran, dass seine Ziele in letzter Instanz keine rein künstlerischen, sondern mindestens gesellschaftliche und oft direkt politische sind. 1953 galt in der DDR noch die Orientierung auf eine gesamtdeutsche Einheit, und entsprechend argumentierte Barthel mit der Wirkung auf westdeutsche Schriftsteller. Durchgehendes Thema auch anderer Beiträge ist, wie der Aufbau der DDR literarisch gestaltet und wie die ganze Bevölkerung politisch einbezogen und ästhetisch bereichert werden kann. Darin erweist sich der Staatsdichter als wahrer Demokrat; gerade im Vergleich zur kapitalistischen Wurschtigkeit von heute, die ihre Zwecke konsequent damit verfolgt, die »Unterschichten« mit Medienmüll ruhigzustellen. Noch das einfachste Propagandagedicht der DDR zielte auf eine politische Entscheidung, hob damit Alternativen hervor und nahm die Adressaten ernster als die gängige Suche nach nächsten Superstars oder Topmodels im Trash-TV.
Aktuell sind Barthels Gedichte darin, dass sie nach der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs immer wieder Frieden fordern. Ihre Klugheit erweist der Vers, der zum Titel des Buches wurde: »Krieg kommt nicht aus einer schwarzen Wolke«. Er ist Folge benennbarer Interessen benennbarer Akteure, die der Logik des Kapitals entsprechend handeln.
Freilich lässt sich nicht leugnen, dass die ästhetische Qualität von Barthels Versen schwankt. Am geringsten ist sie, wo der künstlerische Anspruch am höchsten ist. Die Auszüge aus dem »Poem vom Menschen« (1947) wirken wie eine ungelenke Majakowski-Adaption. Am besten dagegen gelingen die einfachen Liedformen, die tatsächlich zur Vertonung einluden. Auf die entsprechenden Seiten ist ein Violinschlüssel gedruckt, der einen Eindruck davon vermittelt, auf welchem Weg die Poesie Barthels einen Großteil ihrer Wirkung erzielte.
Ein wichtiger Teil von Barthels Schaffen sind Filmszenarien und Theaterarbeiten. Beides lässt sich im Rahmen einer schmalen Auswahl nicht angemessen vermitteln. Als Abhilfe hat Ernst Kommentare Barthels zu den Defa-Filmen »Schlösser und Katen« und »Terra incognita« sowie zu dessen Theaterarbeit in Rostock aufgenommen, wo Barthel von 1957 bis zu seinem frühen Tod 1967 Chefdramaturg war.
Barthel war ein Autor, der in jeder Hinsicht auf Aktuelles reagierte. Heute müssten einige Ereignisse und Personen, die nicht mehr bekannt sind, erklärt werden. Hilfreich wäre auch eine knappe kulturpolitische Einordnung der einzelnen Reden und Aufsätze gewesen; sie hätte gezeigt, wie Barthel in sehr konkrete Diskussionen eingriff. Immerhin erleichtern Vorwort, ein biographischer Überblick und ein Werkverzeichnis die Orientierung.
Raimund Ernst (Hg.): Krieg kommt nicht aus einer schwarzen Wolke. Kulturpolitische Beiträge, Gedichte und Liedtexte von Kurt Barthel (KuBa). Verlag Neue Impulse, Essen 2024, 240 Seiten, 16,80 Euro
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