Aufgeben gilt nicht
Von Marc HieronimusDer Widerstand gegen die Naziherrschaft bleibt in Frankreich ein großes Thema, auch für den Comic. So sind in den letzten fünf Jahren zehn Bände der Reihe »Les compagnons de la Libération« (Bamboo Édition) erschienen, die sich all jenen Widerstandskämpfern und Befreiern widmet, deren Namen die Frankreichreisende täglich auf Straßenschildern begegnet: Pierre Messmer, Jean Moulin, Romain Gary – die Reihe wird fortgesetzt. Anlässlich der »Pantheonisierung« des 1944 hingerichteten Partisanenpaars Missak und Mélinée Manouchian haben gleich drei Verlage entsprechende Comics herausgebracht.
Die etwas weniger berühmte, aber noch quicklebendige Résistance-Kämpferin und Journalistin Madeleine Riffaud feierte am 23. August 2024 ihren hundersten Geburtstag (s. jW vom 23.8.2024). Was für eine starke Frau! »Klage nie über die Lage deines Landes oder dein eigenes Schicksal. Eine Sache ist nie aussichtslos, solange du sie nicht aufgibst. Ich bin kein Opfer. Ich bin eine Widerstandskämpferin.« Diese Einstellung, schreibt sie im Vorwort zu Band eins ihrer Comicbiographie, habe den Leuten im Untergrund und in den Gefängnissen und KZ die Kraft zum Durchhalten gegeben und lasse sich auf alle Aspekte des Lebens anwenden.
1994 fing sie auf Anregung eines Mitkämpfers an, in Schulen, Hörsälen und im Fernsehen über ihr bewegtes Leben zu sprechen, aber erst 2018 kontaktierte sie der Szenarist Jean David Morvan mit der Bitte, einen Comic über sie machen zu dürfen. Morvan hat unzählige Geschichten in den unterschiedlichsten Genres entworfen, konzentriert sich in den letzten Jahren aber auf Biographien und historische Erzählungen. Aus der Zusammenarbeit wurde schnell Freundschaft. Morvan und Éloïse de la Maison (Archivrecherche) verbrachten nun viele Tage und vor allem Nächte mit Riffaud bei Whisky und Zigaretten, wenig später stieß der Zeichner Dominique Bertail hinzu und ließ sich von ihr bei Spaziergängen die Schauplätze der Geschichte zeigen. Auch er hat Erfahrung mit historischen Themen und erweist sich in »Madeleine, die Widerständige« (bisher zwei Bände) als hervorragende Wahl. Seine Pastelltöne erinnern an Werke des Film noir (oder hier besser Film bleu) und schaffen gemeinsam mit dem Zeichenstil genau den zu einer erzählerisch leicht gerafften Autobiographie passenden Grad an Realismus.
Trotz des ernsten Hintergrunds ist es eine Freude, mit Riffaud durch das Paris der 1940er Jahre zu streifen. »Die entsicherte Rose«, Band eins der Comicbiographie, beginnt mit Riffauds Kindheit in einem Dorf im Département Somme, das im Ersten Weltkrieg zerstört worden war. Einige Freunde sterben beim Spiel mit einer Kriegsgranate, um ein Haar erwischt es auch sie. Als Jugendliche lernt sie von ihrem Vater, der den nächsten Krieg kommen sieht, schießen und Auto fahren. Den Beschluss zum Kampf im Widerstand fasst Madeleine Riffaud 1940, nach ihren ersten Begegnungen mit der Wehrmacht.
Das erste Album endet mit den ersten Botengängen für das Pariser Partisanennetzwerk, im zweiten Band, »Das rote Federbett«, werden die Einsätze gefährlicher. Um an Waffen zu kommen, locken Riffaud und andere Mitkämpferinnen deutsche Soldaten in Seitenstraßen, wo sie dann niedergeschlagen und ausgeraubt werden. In Buchhandlungen, Warteschlangen, selbst in Hörsälen der Sorbonne fordert sie die Pariser zum Engagement in der Résistance auf, sie beteiligt sich an Raubzügen zur Beschaffung von Lebensmitteln und Schreibmaterial. Als ein Mitstreiter von einem Wehrmachtssoldaten hinterrücks erschossen wird und fast gleichzeitig die Nachrichten vom Massaker der Waffen-SS in Oradour-sur-Glane durchdringen, jenem Dorf, in dem sie die schönsten Sommer ihrer Kindheit zugebracht hatte, entschließt sie sich, als »politische Botschaft an den Feind«, den erstbesten Wehrmachtssoldaten auf offener Straße zu erschießen. Unmittelbar darauf wird sie von der Miliz gefasst.
In Frankreich ist »Madeleine, die Widerständige« (orig. »Madeleine, résistante«) ein großer Erfolg. Der erste Band wurde 2021 mit dem Prix René Goscinny für das beste Szenario ausgezeichnet, weitere Auszeichnungen folgten. Mittlerweile wird der Comic im Geschichtsunterricht der Mittel- und Oberstufe eingesetzt. Der Verlag Dupuis stellt kostenlos umfangreiches Material zu den Themen Kriegsbeginn, Résistance, Kollaboration, Gestapo, Pariser Aufstand u. v. m. zur Verfügung, und das ist nicht bloß Werbematerial. Zeichner, Szenarist, Historiker und nicht zuletzt Madeleine Riffaud selbst kommen hier zu Wort, Comicpanels werden historische Aufnahmen gegenübergestellt, Infokästen beleuchten Hintergründe. Das Institut national de l’audiovisuel hat sogar eine »web-série« angefertigt, kurze Filmdokus mit Riffauds Audiokommentar zu Originalaufnahmen und Comicausschnitten.
Wie geht es aber weiter nach Band zwei? Im Comicland Frankobelgien gibt es neben den in sich abgeschlossenen »Oneshots« und den Einzelabenteuern wiederkehrender Comichelden wie denen gewisser unbeugsamer Gallier zu Zeiten Julius Cäsars zahlreiche sich fortentwickelnde Serien ganz unterschiedlicher Größe und Konzeption. Viele Erzählungen sind wie »Madeleine« auf drei oder fünf Bände angelegt, größere Reihen erscheinen oft in »Zyklen«, die TV-Serienstaffeln vergleichbar sind. Wenn nun eine kleine Serie wegen spärlicher Verkäufe vorzeitig eingestellt wird, ist das sehr unbefriedigend, und man kann allenfalls bei den Autoren persönlich erfragen, wie die Story eigentlich zu Ende gehen sollte. Wird umgekehrt ein ursprünglich stimmig und dicht geschriebenes Werk aufgrund seines Erfolgs gestreckt, büßt es fast zwangsläufig Spannung und Logik ein. In Fantasyreihen tauchen dann plötzlich die fürchterlichsten Endgegner auf, die in den ersten Bänden nicht einmal erwähnt wurden, oder irgendwann steht Bobby Ewing unter der Dusche, und alles war nur geträumt. Nichts davon ist natürlich in biographischen Werken zu erwarten.
»Madeleine, die Widerständige« sollte ursprünglich mit Band drei enden, der in Frankreich bereits erschienen und nichts für schwache Nerven ist: Riffaud wird von der Pariser Polizei, dann von der Gestapo gefoltert und wartet schließlich im Gefängnis von Fresnes auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. Ihr Vater erhält sogar die Nachricht von ihrem Tod und wird darüber fast verrückt. Tatsächlich kommen die Gefangenen frei und beteiligen sich an der Befreiung von Paris. Der Verlag Dupuis hat nun aufgrund des großen Erfolgs eine Verlängerung der Serie im nächsten Jahr beschlossen, hält sich aber über den Inhalt bedeckt. Man darf gespannt sein: Nach dem Krieg engagierte sich Riffaud in der Kommunistischen Partei Frankreichs, schrieb für die Gewerkschaft CGT und später für diverse Zeitschriften aus und über Algerien und Vietnam. Bleibt zu hoffen, dass der Verlag wieder dasselbe Team beauftragt.
Madeleine Riffaud/Jean David Morvan (beide Text und Szenario)/Dominique Bertail (Zeichnungen): Madeleine, die Widerständige. Band eins: Die entsicherte Rose. Aus dem Französischen von Annika Wisniewski. Avant-Verlag, Berlin 2022, 128 Seiten, 29 Euro
Dies.: Band zwei: Das rote Federbett. Aus dem Französischen von Annika Wisniewski. Avant-Verlag, Berlin 2024, 136 Seiten, 29 Euro
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