Einer gegen alles
Von Daniel DubbeFür mich gab es Ende der 70er Jahre nur drei deutschsprachige Autoren, die wirklich was zählten, und zwar in dieser Reihenfolge: Rolf Dieter Brinkmann, Jörg Fauser und Peter Handke. Brinkmann ist jetzt schon seit fast 50 Jahren tot, Fauser seit 37 Jahren. Handke lebt noch. Als notorischer Fußgänger außerhalb ausgetretener Pfade war er selten auf gefährlichen, weil vielbefahrenen Autorouten unterwegs. Was mit der deutschen Literatur passiert wäre, wenn sie ihre beiden besten Leute nicht frühzeitig verloren hätte, darüber kann man nur spekulieren – natürlich ergebnislos.
Brinkmann und Fauser waren geborene Rebellen. Sie lebten gegen den Strich. »Eigentlich bin ich gegen alles«, gestand der junge Fauser einmal. Das, was sie taten, mussten sie tun. Und sie schrieben, was sie schreiben mussten, und bestimmt nicht, um irgend jemandem zu gefallen. In erster Linie musste es ihnen selbst gefallen, was da auf dem Papier stand. Oder wie Fauser es einmal ausdrückte: »Ich bin kein netter Mensch, sondern Schriftsteller, einer der Dunkelmänner, die beim ältesten Verfassungsschutz der Welt angestellt sind, beim Verfassungsschutz für Sprache und Zweifel.«
Fauser war der einzige in Deutschland, der sich aus dem Underground nach oben geschrieben hat. Was das betrifft, ist er mit Philippe Djian vergleichbar, der es in Frankreich von ganz unten bis zu Gallimard schaffte. Wobei mir immer unvergesslich ist, wie mir Djian eines Tages in Paris sagte: »Gallimard ist kein Verlag, Gallimard ist eine Bank!« Dass Fauser heute der einzige »Rebell« ist, der es zu drei Gesamtausgaben, eine vollständiger als die vorhergehende, gebracht hat und zum modernen Klassiker erhoben wurde, liegt vor allem daran, dass so viele schwer beeindruckte jüngere Kollegen für ihn die Werbetrommel rührten: Wiglaf Droste, Harry Rowohlt, Maxim Biller, Benjamin von Stuckrad-Barre, Michael Köhlmeier, Franz Dobler, Ronja von Rönne, Thorsten Nagelschmidt und viele andere mehr.
Von Fauser hörte ich vor Menschengedenken in den sagenumwobenen 70ern. Udo Breger brachte ihn zuerst raus, in Göttingen. Cut-up-Sachen, zwar unlesbar, aber existent. Breger kannte William Burroughs persönlich. Dann stand etwas von Fauser in Gasolin 23, dem berühmten literarischen Magazin, Frankfurter-Westend, wo Jürgen Ploog residierte. Dessen erstes Buch hieß »Cola-Hinterland«. Damit konnte Deutschland, aber auch die Welt gemeint sein. Matthias Penzel und Ambros Waibel nannten ihre vor 20 Jahren in der Edition Tiamat erschienene und nun im Diogenes-Verlag wieder aufgelegte und erheblich erweiterte (von 287 auf 640 Seiten) Fauser-Biographie entsprechend »Rebell im Cola-Hinterland«.
Jörg Fausers Roman »Der Schneemann« wurde 1981 teilweise als Fortsetzungsroman im Berliner Tip-Magazin abgedruckt. Er las sich sehr gut und erreichte ein breites Publikum. Der Roman war sozusagen sein Durchbruch. Natürlich war ich wie Fauser ein Bewunderer von Raymond Chandler, fühlte mich der amerikanischen Beat-Generation verbunden und mochte auch Bukowski und Henry Miller, also die Schriftsteller davor und danach. Die Ausrichtung war westwärts. Nur dieses Angestelltendasein, mit Schlips und Kragen, das sich Fauser immer wieder zumutete, bei Tip oder Lui, nein. Die zahlten vielleicht gut, aber der Rundfunk zahlte besser. Dort agierte man allerdings im Verborgenen und wurde nicht berühmt. Halbwegs berühmt genoss Jörg Fauser dann 1984 in Klagenfurt das Privileg, sich beim Bachmannpreis von Marcel Reich-Ranicki persönlich abwatschen zu lassen: »Was Sie hier bieten ist vielleicht gar nicht mal schlecht (…) Aber es ist Unterhaltungsware ohne jeglichen literarischen Ehrgeiz (…) Sie gehören einfach nicht hierher.« Der Gescholtene nahm es mit stoischer Gelassenheit. Ein paar Wochen später bekam er bei Hellmuth Karasek in der Literatursendung »Autor-Scooter« Gelegenheit zur Richtigstellung, die er auch nutzte. Er trug einen schönen Anzug und wusste seine Position beredt zu vertreten. Man kann das noch heute auf Youtube bewundern.
Im Gegensatz zu Jürgen Ploog, mit dem Fauser eine echte Freundschaft verband, gab es zwischen ihm und mir immer eine unsichtbare Grenze. Am deutlichsten wurde das, als ich eines Tages beschloss – es muss in den frühen 80ern gewesen sein – eine wirkliche Grenze zu überschreiten, die nach Ostberlin, um der Hauptstadt der DDR auf LSD einen Besuch abzustatten. Nüchtern war ich schon mehrfach im Osten gewesen und immer mit mehreren Bänden der Marx-Engels-Gesamtausgabe zurückgekehrt. Jetzt war ich gespannt, welche psychedelischen Erfahrungen auf mich warteten. Es passierte nicht viel, außer dass gegen Abend urplötzlich und völlig unerwartet aus allen hoch oben an den Laternenmasten installierten Lautsprechern preußische Marschmusik erschallte. Mit vielem hatte ich gerechnet, damit nicht.
Wieder zurück im Westen in einer Kneipe auf der Hasenheide saß plötzlich Jörg Fauser am Tresen. Ich näherte mich ihm von hinten und sagte leise, aber gut verständlich: »He, Fauser …« Er reagierte nicht. Fauser war betrunken, und er hatte schlechte Zähne. Gelb mit schwarzen Stellen. Vielleicht war es gar nicht Fauser. Man muss ihn als Schriftsteller nicht übermäßig mögen, eine interessante Figur war er allemal. Es sind unzählige Geschichten über ihn im Umlauf. Die sind natürlich gefundenes Futter für Biographen. Es gab nicht viele wie ihn. Man kann sogar ohne zu lügen behaupten: Er war einmalig. Eine seiner Besonderheiten: Beide Eltern sind Künstler gewesen, der Vater Maler, die Mutter Schauspielerin. Beide mäßig erfolgreich, aber man schlug sich durch. Aus diesen Erfahrungen destillierte Jörg Fauser seine Helden. Sie waren alle kleine Leute, die sich durchschlugen, die manchmal Glück im Spiel hatten, wenn ihnen beispielsweise, wie im »Schneemann«, zufällig ein paar Kilo Kokain in den Schoß fielen, die sich eine Weile durchkämpften, um die Ware einträglich an den Mann zu bringen und am Ende alles verloren. Manche von ihnen zu schnell. Fauser wurde nur 43.
Den Biographen Penzel und Waibel gelingen immer wieder Seiten, die von Fauser selbst stammen könnten, aus einem der Essays über bewunderte Autoren. Da ist es von Vorteil, dass das Buch dick ist. Man hat lange was davon. Man unterbricht die Lektüre nur, um sie am nächsten Tag wieder aufzunehmen. Natürlich ist diese Biographie vollständig affirmativ – das ist vielleicht ihr Nachteil. Fauser ist ihr einsamer Held. Rebellentum à la Fauser ist heute nicht mehr angesagt. Heute besucht man Schreibschulen, bedient den Markt, und dafür gibt es Preise. Fauser hat zeitlebens nie einen Preis gekriegt. Aber es gibt immer wieder junge Autoren, die gerade das bewundern, was Fauser ihnen vorlebte: die kompromisslos harte Tour. Weil sie instinktiv wissen, dass das der einzig richtige Weg ist.
Matthias Penzel, Ambros Waibel: Jörg Fauser. Rebell im Cola-Hinterland. Die Biografie. Diogenes-Verlag, Zürich 2024, 640 Seiten, 32 Euro
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 16.07.2019
Der große Blues
- 16.07.2009
Es paßt schon
- 17.07.2006
Draußen sein
Mehr aus: Feuilleton
-
Rotlicht: Vorurteil
vom 16.10.2024 -
Nachschlag: Krimi als Dauerwerbesendung
vom 16.10.2024 -
Vorschlag
vom 16.10.2024 -
Veranstaltungen
vom 16.10.2024 -
Irgendwann ist Schluss
vom 16.10.2024 -
Harfouch, Wilde, Hagen
vom 16.10.2024 -
Daheim ist, wo man sich aufhängt
vom 16.10.2024 -
Uhu
vom 16.10.2024 -
Wachsam und laut
vom 16.10.2024