Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Feminismus, Beilage der jW vom 08.03.2025
Feminismus

Theorie und Praxis

Kubanisches Institut bringt feministische Perspektiven, politische Aktivistinnen und marxistische Philosophie zusammen – ein Besuch in Havanna
Von Carmela Negrete
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Wir befinden uns in einem imposanten Kolonialgebäude im Herzen von Havanna, das – wie die gesamte Stadt – eine frische Schicht Farbe und Lack vertragen könnte. Die Türen des Instituto de Filosofía öffnen sich vor uns, und nach und nach treffen verschiedene Frauen ein, die an diesem Tag im Januar an einem feministischen Workshop der katalanischen NGO Entrepueblos teilnehmen. Unter ihnen sind zwei Krankenschwestern, die sich einen bezahlten Tag freigenommen haben, um hier dabei zu sein. Das Institut ist nicht nur ein Ort der Forschung, sondern auch ein aktives Zentrum, das praktische Arbeit mit der Bevölkerung leistet und umgekehrt durch den direkten Kontakt mit der Gemeinschaft eine partizipative Perspektive in die Theorie einfließen lässt.

Zu den Teilnehmenden gehören drei Forscherinnen der feministischen Forschungsgruppe »Berta Cáceres«, auch ein Mann, und Santa López, eine pen­sionierte Frau, die im Gespräch mit junge Welt erzählt, dass sie als Mädchen bei den Festspielen der Jugend in der DDR war. López erinnert sich an ihre Kindheit in der Zeit vor und nach der Revolution. Nachdem sie lesen und schreiben gelernt habe, sei sie zur Revolutionärin geworden – bis heute. Sie war Sergeant in der Armee und betont: »Wir hoffen, dass der Feminismus voranschreitet und dass wir selbst das Bewusstsein schaffen, Frauen zu verteidigen.«

Trotz der Tatsache, dass Frauen in Kuba in allen Berufen arbeiten, sieht López die Notwendigkeit, sich selbst mehr Wert zuzusprechen und die machistische Gewalt zu überwinden. Das Problem der geschlechtsspezifischen Gewalt in Kuba soll laut NGOs im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern weniger ausgeprägt sein, was die Pensionärin auf den Respekt und die Bildung zurückführt – »auch wenn noch viel zu tun bleibt«, fügt sie nachdenklich hinzu.

Feministisch orientiert

Später kommen noch einige Frauen dazu, die in dem Trubel der von der wirtschaftlichen Not verkomplizierten Stadt stecken geblieben sind. Eine hatte sich verlaufen und kündigt an, dass sie zwischendurch noch nach Hause muss, da sie ihre Bohnen kochend auf dem Herd gelassen hat. Im Instituto gibt es ein Brötchen und eine Limonade zur Begrüßung, auch das ist nicht mehr selbstverständlich auf Kuba, wo zur Zeit alles viel teurer und schwieriger zu beschaffen ist, dank der umfassenden US-Blockade seit mehr als 60 Jahren. Während unseres Besuchs wird der Strom ausfallen, und wir werden herausfinden, dass es zur Zeit kein fließendes Wasser gibt.

Sara Tuñi ist aus Katalonien gekommen. Sie ist heute Teamerin mit zwei anderen Frauen von Entrepueblos und erzählt junge Welt: »Wir kommen seit mehr als zehn Jahren, um GALFISA zu unterstützen.« Die Forschungsgruppe Grupo América Latina: Filosofía So­cial y Axiología (GALFISA) beschäftigt sich laut eigener Aussage mit sozialer Philosophie, Axiologie (Wertlehre) und politischen Transformationsprozessen in Lateinamerika. Hier werden kritische Theorie, marxistische Philosophie, feministische Perspektiven und soziale Bewegungen zusammengebracht, um einen sozialen Wandel zum Guten zu fördern.

Dieses Mal wurde Sara teilweise vom Stadtrat in Barcelona im Rahmen eines Projekts finanziell unterstützt. Damit werden Förderungen für Workshops zur feministischen politischen Führung vergeben. Diese stehen im Kontext der Unterstützung von Frauen in der lokalen kubanischen Politik. Zwei Kolleginnen von »Con Vos« sind angereist, um diesen Workshop zu leiten, »der eine partizipative und feministische Methodik verfolgt«. Anwesend sind heute Frauen aus dem Volksrat von La Rampa im Stadtteil Plaza de la Revolución in Havanna. Sie sind auf unterschiedliche Weise politisch engagiert und erhalten an diesem Tag Werkzeuge, »um als aktivere Bürgerinnen mit einem geschlechtersensiblen Ansatz zu agieren«. Hier wird auf praktische Weise vermittelt, wie feministische politische Führung konkret umgesetzt werden kann – vorangetrieben durch das staatliche Programm zur Förderung von Frauen und die Strategie zur Prävention von geschlechts­spezifischer Gewalt auf Kuba.

Räume schaffen

Das kubanische Wissenschaftsministerium unterhält dieses Zentrum, das seine Türen für alle offen hält. Seit 2013 wird es von Georgina Alfonso González geleitet, die sich heute Zeit für junge Welt genommen hat. In ihrem bescheidenen Büro empfängt sie uns und erklärt: »Ich arbeite hier aus einer marxistischen, feministischen und kritischen philosophischen Perspektive – genau wie meine Kolleginnen und Kollegen. Wir haben eine politische Verpflichtung zur Verbesserung des Lebens aller Menschen.« Dies sei der Standpunkt, aus dem heraus das Institut handele.

»Hier verfolgen wir eine kritische und transformative Philosophie. Eines der Prinzipien, das wir tief verinnerlicht haben, ist die Überzeugung, dass die Institution, in der wir arbeiten, den Ideen entsprechen muss, die wir vertreten.« Ihr Ziel sei es, Räume zu schaffen, in denen Ideen nicht nur vorgestellt, sondern auch praktisch erprobt werden können. »Die alltägliche Praxis muss unsere Arbeit leiten. Wir lernen aus dem Alltag der Menschen und entwickeln gemeinsam mit ihnen Philosophie. Nur so können sie an das glauben, was wir sagen – an unsere Vorschläge und an das philosophische Denken, das wir entwickeln.«

Und der Feminismus gehört dazu und ist seit längerem fester Bestandteil der Politik, auch wenn es noch »viel zu tun« gibt. Das Institut für Philosophie wurde 1966 als Abteilung der Akademie der Wissenschaften Kubas gegründet, und Gina, wie sich die Direktorin nennt, erklärt, dass dahinter die Absicht stand, »ein kritisches revolutionäres Denken zu fördern, das den Prozess der kubanischen Revolution begleitet«.

»Gegenwärtig ist der kubanische Kontext äußerst komplex«, erklärt Alfonso. Seit dem Sieg der Revolution bis heute seien Generationen vergangen, und die Bezugspunkte des revolutionären Prozesses selbst hätten sich verändert, erzählt sie. »Dies verleiht dieser Institution hier, dem Philosophieinstitut, eine größere Verantwortung in theoretischer Hinsicht sowie in bezug auf transformative, emanzipatorische und revolutionäre Praxis.«

Und in dieser Institution wird nach Plan gearbeitet: Bis 2030 habe man sich ein wissenschaftliches Ziel gesetzt, erzählt Alfonso weiter. Nicht nach »Denkrichtungen« organisiert oder orientiert, sondern »nach thematischen Linien, die mit sozialen Problemen verknüpft sind, die wir aus der Realität herausgearbeitet haben«. Die Themen umfassen: politische Demokratie und den sozialistischen Übergang, soziale Bewegungen in Lateinamerika, den Klimawandel und die Auswirkungen der Technologien auf das Subjekt, die Entwicklung des kritischen Denkens sowie die Beiträge kubanischer, asiatischer oder afrikanischer Denktraditionen. »Darüber hinaus befassen wir uns mit weiteren thematischen Linien, wie Ästhetik oder Kunst als zivilisatorischem Prozess zur Schaffung einer besseren Gesellschaft.«

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