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07.07.2017, 11:55:12 / No G20

Gegenmittel vorhanden. Kommentar

Von Anselm Lenz
Die »Tagesthemen« wählten eine bezeichnende Bildsprache (Sendung vom 6.7.2017)
So höllisch war’s gar nicht – der Demonstrationszug »Welcome to Hell« nach Auflösung der angemeldeten Kundgebung

Vor der Demonstration »Welcome to Hell« hatten die Oberen richtig Bammel. Mit »8.000 Gewaltbereiten« am Fischmarkt rechnete Innensenator Andy Grote (SPD) für den Donnerstag. Gut vermummte und gepolsterte Inlandsmilizen waren aus dem gesamten BRD-Gebiet angekarrt worden – selbstverständlich »zur Sicherheit«. Aufatmen dann um 17 Uhr auf seiten der Staatsmacht: Schon eine Stunde laufe die Demo, erst 1.200 Demonstranten seien da, meldete die Polizei, die Deutsche Presseagentur leitete die Zahl weiter. – Alles ein Flop?

Die gegen die Klassengesellschaft Protestierenden hatten sich was einfallen lassen: Nach dem Bühnenprogramm am Fischmarkt sollte die Demonstrationsroute durch die seit 100 Jahren kommunistisch und anarchistisch geprägten Viertel am Hamburger Hafen führen. Dank des Livestreams des Internetsenders RT konnte die Demonstration am Abend unkommentiert mitverfolgt werden. Das Kontrastprogramm lieferten anschließend die »Tagesthemen«, die fernab der Wirklichkeit schwere Ausschreitungen kolportierten – im Hintergrund ein geradezu apokalyptisches Bild mit roten Fahnen in einer Straßenschlacht.

Dem G-20-Meeting der obersten Imperialisten im sogenannten Karolinenviertel unter Ausschluss der Öffentlichkeit und einer erbärmlichen Opium-fürs-Volk-Show in der entlegenen Hamburger »Barclay-Card- Arena« (sic!) mit der singenden Tänzerin Shakira (wird nicht billig gewesen sein), setzten die Aktivisten ihr Bühnenprogramm und ihre Losungen entgegen.

Ab 19 Uhr zog die Demonstration vom Fischmarkt über die Sankt-Pauli-Hafenstraße, wobei sie immer wieder von den Polizeitruppen aufgehalten wurde. Mindestens 12.000 überwiegend junge Demonstranten, sommerlich gekleidet und etwa zur Hälfte Frauen. Darunter sicher keine 8.000 »Gewaltbereiten«. Der Parlamentarische Beobachter Martin Dolzer (Partei Die Linke) mühte sich redlich darum, dass es weitergehen konnte.

Die Bilder belegen, dass der Einsatzleiter den Zug ohne Grund stoppte. Die Folklore einiger schwarzgekleideter Sonnenbrillenfans ist kein hinreichender. Nach nicht näher bekannten »Zwischenfällen« wurde die offizielle Demo jedenfalls für aufgelöst erklärt.

Eine über Lautsprecher ausgerufene »Spotandemo gegen Polizeigewalt« zog nach dem Spuk auf der geplanten Route weiter. Man brachte Banner mit gewitzten Losungen nach vorn: »Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse« und ein »NoG20«-Transparent im El-Lissitzky-Stil. Auch »Welcome to Hell« trat wieder auf – furchteinflößend, aber niedlich wollte man ja damit auch nicht sein. Die wirklich schrecklichen Dinge kommen inzwischen ja in aller Regel »nice« daher. Zum Beispiel in der Arena.

Auch die Sprechchöre auf der Spontandemo klangen origineller als die Kommandos der behelmten Inlandsmilizen: »Ohne Helm und ohne Knüppel seid Ihr nichts«, »Eure Kinder werden so wie wir« oder »Wir sind friedlich, was seid Ihr?«

Die unkommentierten Livebilder bergen ein gewisses Suchtpotential. Und sie sind ein Gegenmittel zu dem, was viele Medienbetriebe ihren Konsumenten zum Feierabend auftischen (nicht nur die ARD-Berichterstatter, die sich ansonsten in puncto G-20-Gegner vergleichsweise um Fairness bemühen). Angesichts der Erfolge der Gegenkultur werden Versuche, die Zielrichtung der Demos zu verschleiern, scheitern.

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