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07.07.2017, 21:37:55 / No G20

»Die Polizei hat die Eskalation gesucht.«

Von Kristian Stemmler
Polizeigewalt nach »Leberwursttaktik«? Einsatz gegen die »Welcome-to-Hell«-Demo am 6. Juli 2017 in Hamburg

Michael Martin gehört zu den Organisatoren der »Welcome to Hell«-Demonstration am Donnerstag abend am Hamburger Hafen. Ein Interview

Weltweit laufen Bilder von der Demo, die Sie mit organisiert haben, und den folgenden Ereignissen. Medien schreiben pseudoneutral von einer »Eskalation«, oder dass die Demo aus dem Ruder gelaufen sei – nennen aber nicht Ross und Reiter. Wer hat denn eskaliert?

Das ist offensichtlich und wird von vielen Medien durchaus auch so gesehen: Die Polizei hat die Eskalation von Anfang an gesucht, schon vor der Demo gab es die ersten Provokationen. In Fortsetzung der polizeilichen Linie der letzten zwei Wochen ging es offenbar nur darum, die Bahn frei zu machen für ein hartes Vorgehen gegen die Aktionen an den beiden Gipfeltagen, Freitag und Samstag. Das wollte die Polizei mit allen Mitteln durchsetzen, dafür hat sie eine Situation in Kauf genommen, bei der es zu vielen Verletzten gekommen ist. Ich bin froh, dass es keine Toten gab.

Wie sahen die Schikanen im Vorfeld aus?

Schon beim Aufbau am Donnerstag morgen gab es Behinderungen durch formale Regelungen. Vor Beginn der Kundgebung fuhren zwei Wasserwerfer über den Fischmarkt. Und bevor der Aufzug startete, marschierten Hunderte Beamte an der Elbseite auf, um den Weg am Fluss entlang dichtzumachen. Und dann stand hinter der Bühne ein Überwachungsfahrzeug mit Wiesbadener Kennzeichen, also wohl Bundeskriminalamt, das alles abgefilmt hat. Ohne Polizeibegleitung übrigens.

Eskaliert ist die Lage, als der Aufzug sich formierte.

Ja. Es war abgesprochen, dass wir uns auf der Hafenstraße aufstellen. Aber da standen zwei Wasserwerfer, Räumpanzer und jede Menge Polizei, die dann auch noch vorgerückt sind. Damit war klar, dass die Polizei vorher entschieden hatte, dass wir da nie losgehen sollten – das mit der Vermummung war nur ein Vorwand. Eskaliert ist das Ganze, als die Polizei in den Aufzug hineingegangen ist.

Sie sagen, sie fühlen sich an die Demo in Rostock zum G-8-Gipfel in Heiligendamm vor zehn Jahren erinnert und an die »Leberwurst-Taktik« des damaligen Berliner Polizeipräsidenten Erich Duensing bei den Protesten gegen den Schah-Besuch am 2. Juni 1967.

Genau. Diese Taktik lautete: »Nehmen wir die Demonstranten als Leberwurst, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie an den Enden auseinanderplatzt.« Genauso lief das hier, was zu lebensgefährlichen Situationen führte. Menschen sind in Panik die Flutmauer, die die Hafenstraße begrenzt, hochgeklettert, sind oben auf der Mauer zusammengequetscht worden, gerieten in Gefahr, zweieinhalb Meter in die Tiefe zu stürzen. Das war ein Ausbruch von Polizeigewalt und Hass gegen die Demonstranten. Polizisten haben Leute angeschrieen: »Jetzt kriegt ihr es!« Es ist flächendeckend Pfefferspray eingesetzt worden, da lag eine richtige Wolke über der Straße. Leute sind fast von Polizeifahrzeugen überfahren worden.

Muss das nicht zu Rücktritten führen?

Wir sind nicht die, die Rücktritte fordern. Aber natürlich steht sowohl Hamburgs Polizeiführung als auch die Politik jetzt unter Druck.

Die Wut ist durch das Vorgehen der Polizei erst explodiert und hat sich quasi über die Stadt verteilt. Das ist doch völlig idiotisch.

Das ist wie in einem Bierzelt oder einem Fußballstadion. Man geht auch nicht mit der ganzen Truppe in eine Fankurve im Stadion – aber das ist bei der Hamburger Polizei offenbar noch nicht angekommen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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