Kommunisten haben einen intensiven Wahlkampf geführt. Ein Gespräch mit Héctor Rodríguez
Die
Kampagne zur Wiederwahl von Hugo Chávez als Präsident ist beendet.
Welche Bilanz ziehen Sie und Ihre Organisation aus den vergangenen
Wochen?
Es war ein sehr intensiver, sehr aktiv geführter
Wahlkampf, in dem die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) und mit
ihr die Kommunistische Jugend mit ihren Inhalten aufgetreten sind.
Wir
haben dafür geworben, mit der Wahl von Hugo Chávez auch für die
revolutionäre Option der Arbeiterklasse zu stimmen, für die PCV. Unser
Ziel ist, 500000 Stimmen zu erringen. Und wir treten für eine weitere
Verbesserung des Organgesetzes für die Arbeiterinnen und Arbeiter ein,
das auch auf unseren Druck hin vor wenigen Monaten verabschiedet worden
ist.
Die PCV hat in der Vergangenheit nicht mit Kritik an
der Regierung und bestimmten Entscheidungen hinter dem Berg gehalten.
Trotzdem unterstützen Sie die Wiederwahl von Hugo Chávez?
Venezuela leistet Widerstand gegen die Bedrohung durch den
Imperialismus, der unsere Bodenschätze wieder den internationalen
Monopolen zur Ausbeutung überlassen will. Das ist ein Angriff auf die
Interessen der venezolanischen Arbeiterklasse, und im Kampf gegen diese
Bedrohung ist Hugo Chávez die unbestrittene Führungspersönlichkeit.
Deshalb treten wir dafür ein, daß er an der Spitze des Staates bleibt.
Trotzdem
tritt bei dieser Wahl mit Orlando Chirino auch ein sich als links von
Chávez präsentierender Kandidat an. Wie bewerten Sie dessen Kandidatur?
Bis vor ganz kurzer Zeit hat sich dieser Herr noch als Anhänger von
Chávez ausgegeben. Seine Kandidatur hat keinerlei Perspektive und dient
letztlich nur dem Imperialismus und der Rechten, weil sie einen Angriff
auf die nationale Befreiungsbewegung in Venezuela und international und
auch auf die kommunistische Bewegung darstellt.
Venezuela: Die Bevölkerung wird Versuchen der Opposition, einen Sieg von
Hugo Chávez nicht anzuerkennen, entgegentreten. Gespräch mit Gustavo
Rodríguez
Gustavo Rodríguez ist Mitglied der venezolanischen Linkspartei Tupamaros
und der Coordinadora Simón Bolívar im Stadtviertel 23 de Enero. Im
freien Rundfunksender Al Son del 23 moderiert er eine wöchentliche
Diskussionssendung.
Sie moderieren eine wöchentliche Sendung beim lokalen Rundfunksender
Al Son del 23, im Stadtviertel 23 de Enero. An wen richtet sich dieses
Programm?
Meine Sendung heißt „Aló 23“, und sie gibt es inzwischen seit sieben
Jahren, seitdem unsere Radiostation ihren Sendebetrieb aufgenommen hat.
Der Sender soll der Gemeinde dienen, indem er Nachrichten,
Informationen, Bildung und Kultur verbreitet.
Letztlich ist er eine
Konsequenz aus dem Putschversuch vom April 2002, als alle Fernsehsender,
die in der Hand der faschistischen Rechten und der Konzerne waren,
Zeichentrickfilme ausgestrahlt haben, während auf den Straßen das Volk
massakriert wurde.
Wir haben damals verstanden, wie notwendig es für die
Menschen in unserem Barrio, in unserem Viertel, ist, ein eigenes
Handwerkszeug in die Hand zu bekommen, damit sie nie wieder zum
Schweigen gebracht werden können. Das Radio dient diesem Ziel ebenso wie
die politische Organisation, die hinter ihm steht, die Coordinadora
Simón Bolívar. Diese Organisation gibt es inzwischen seit 17 Jahren,
doch viele von uns, die in ihr aktiv sind, kommen aus der linken
Bewegung der 60er und 70er Jahre.
Für uns ist besonders bedeutsam, daß
unser Radiosender in einem Gebäude arbeitet, in dem sich früher eine
Wache der Policía Metropolitana befand. Diese Hauptstadtpolizei war ein
Organ der früheren Regierungen zur Unterdrückung der oppositionellen
Bewegungen. Hier gab es immer wieder Kämpfe gegen dieses Kommando. In
der Zeit des bewaffneten Kampfes hier in Venezuela wurde ich an einem
Gründonnerstag festgenommen, in diese Wache verschleppt und hier
zusammen mit zwölf weiteren Genossen gefoltert.
Das gesamte Viertel 23 de Enero hat den Ruf, eines der
kämpferischsten und widerständigsten Viertel ganz Venezuelas zu sein.
Wie erleben Sie hier den derzeitigen Wahlkampf?
Dieser Wahlkampf ist, ebenso wie die vorangegangenen 14 Wahlkämpfe –
denn die Welt muß wissen, daß Venezuela ein äußerst demokratisches Land
ist, in dem das Volk zu jeder Angelegenheit befragt wird – für uns eine
Fortsetzung der Kämpfe, die wir seit Jahrzehnten geführt haben für
Gerechtigkeit und Demokratie.
Wir gehören zu denen, die auch heute noch
eine sozialistische Gesellschaft anstreben. Im 23 de Enero erlebst du
viel Freude, die Menschen sind sehr solidarisch, sie teilen gerne. Als
ich am Dienstag abend zu mir nach Hause zurückkehrte, stieß ich auf
einen italienischen Journalisten, der auf der Straße die Menschen
interviewte. Es bildete sich schnell um ihn eine Menschentraube, denn
jeder wollte seine Meinung sagen, obwohl er seine Fragen sehr provokativ
formulierte. Wir haben schnell gemerkt, daß dieser Herr ein Vertreter
dieser Medien der Großkonzerne war, aber wir haben uns entschieden, ihm
mit klaren und ehrlichen Argumenten entgegenzutreten.
Und wie werden Sie den Wahltag selbst erleben?
Vom frühen Morgen an werden wir auf der Straße sein. Um 3 Uhr morgens
ertönt überall das Signal zum Wecken, die sogenannte Diana, als Ruf zum
Kampf. Am Sonntag führen wir den Kampf des Volkes gegen das
nordamerikanische Imperium, den Kampf um die Zukunft unseres Volkes,
Lateinamerikas und vielleicht der ganzen Welt gegen den Imperialismus.
Das Imperium hat einen Vertreter gefunden, der Venezuela wieder unter
seine Kontrolle bringen soll. Seit ein paar Jahren ist es ihnen
gelungen, sich von den alten Parteien abzusetzen, die das Venezuela vor
Chávez repräsentierten – die sozialdemokratische AD und die
christsoziale COPEI – und haben eine neue Partei gegründet, Primero
Justicia (Zuerst Gerechtigkeit). Die Gründungsmitglieder kamen aus der
COPEI und hatten eine faschistische Sekte gegründet, die sich
„Tradition, Familie und Eigentum“ nannte. Finanziert wurde die Gründung
dieser Partei mit Geldern aus unserem Erdölunternehmen PDVSA, das damals
noch unter der Kontrolle der Rechten stand.
Auch wenn alle seriösen Meinungsforschungsinstitute Venezuelas einen
Sieg für Präsident Chávez voraussagen, ist mir in einer Analyse
aufgefallen, derzufolge der Amtsinhaber zwar auch unter den Jungwählern
die Mehrheit hat – aber mit deutlich knapperem Vorsprung als zum
Beispiel unter den 35- bis 50jährigen. Geht der Revolution die Jugend
verloren?
Diese Gefahr besteht immer, und es ist unsere Verantwortung, das zu
verhindern. In der nächsten Wahlperiode müssen wir die Verbindungen mit
den Jugendlichen verstärken. Aber vergessen wir nicht, daß dies eine
sehr junge Revolution ist, und wir sind sehr weit vorangekommen. Vor
allem, wenn wir daran denken, daß wir all dies auf friedlichem und
demokratischem Weg erreicht haben. In den vergangenen 13 Jahren unter
Präsident Chávez ist nie auf eine Demonstration der Studenten geschossen
worden. In den 60er und 70er Jahren wurden demgegenüber Dutzende meiner
Studienkollegen ermordet. Sie aber sind noch sehr jung, sie haben das
nicht erlebt. Und zugleich verbreitet der Kapitalismus seinen Einfluß
weltweit über alle Kanäle, über das Kino, die Musik, die Kultur, das
Fernsehen, den Konsum. Den Jugendlichen wird eingepflanzt, daß sie ein
bestimmtes Telefon, eine bestimmte Kleidungsmarke haben wollen. Unsere
Aufgabe ist riesig und besteht darin, die Mentalität dieser Jugendlichen
zu ändern und ihnen Bewußtsein für ihr Volk zu wecken. Das erreicht man
natürlich nicht von heute auf morgen.
Derzeit kursieren in Venezuela unzählige Gerüchte über geheime Pläne
der Opposition, die einen Wahlsieg von Hugo Chávez nicht anerkennen
wolle, oder über Provokationen. Was passiert in Caracas am Sonntag nach
der Schließung der Wahllokale?
Bevor der Nationale Wahlrat CNE die ersten offiziellen Ergebnisse
bekanntgibt, wird zweifellos das Volk auf den Straßen sein. Wir müssen
unsere Revolution verteidigen, denn wir sind davon überzeugt, daß wir
keinen anderen Weg haben. Die Augen der Welt sind in diesem Augenblick
auf Venezuela gerichtet, und das bedeutet für uns eine riesige
Verantwortung. Wir werden auf den Straßen und Plätzen auf die ersten
Zahlen des CNE warten, in vollem Vertrauen auf unser Wahlsystem, das
gegen jeden Manipulationsversuch gepanzert ist. Wichtig ist, daß sich
niemand etwa vormachen läßt, auch nicht in Deutschland: Ein Wahlbetrug
ist in Venezuela unmöglich.
Danach, mit der Veröffentlichung des ersten Bulletins des CNE, werden
wir der Welt den Sieg der Bolivarischen Revolution, des Präsidenten
Chávez und des Volkes verkünden und feiern, daß wir den Aufbau einer
sozialistischen Gesellschaft fortsetzen können. Nachdem 1990 schon das
Ende der Geschichte verkündet wurde, war es gerade Venezuela, das die
Banner des Sozialismus wieder erhoben hat. Das war kein Zufall, denn
dies ist die Heimat von Simón Bolívar und von Francisco de Miranda, von
vielen Männern und Frauen, die in die Welt gezogen sind, um Freiheit zu
bringen. Es wird also ein großes Fest. Aber wir wissen natürlich auch,
daß wir uns in einem Krieg der vierten Generation befinden und daß die
Finger des Imperiums nicht erst seit gestern, sondern seit vielen
Jahrzehnten tief in unseren Ländern stecken.
Noch immer kontrolliert die
Bourgeoisie in unserem Land 75 bis 80 Prozent der Medien. Wir dürfen
nicht vergessen, daß die Opposition auf zwei Karten setzt. Eine ist das
Gesicht, das sie offen zeigen, und die andere ist die der Sabotage, der
Unruhen, der gewaltsamen Regierungsumstürze. Wir sehen in ihren
Demonstrationen die Zeichen dieser Bewegungen aus Europa, die „weißen
Hände“ und die jungen Leute von „Otpor“ mit ihren „bunten Revolutionen“,
die diese faschistische Ideologie aus Europa nach Venezuela importiert
haben und bei einigen Studenten Anklang gefunden haben. Es wäre
tragisch, wenn nach einem Sieg des Präsidenten Chávez diese Kräfte
versuchen, Unruhen anzuzetteln und das Ergebnis nicht anzuerkennen, denn
wir sind bereit, unsere Revolution mit allen Mitteln zu verteidigen.