75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 4. Juli 2024, Nr. 153
Die junge Welt wird von 2819 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €

Leserbrief verfassen

Betr.: Artikel »Vereine so in Unsicherheit zu halten, ist dramatisch«

Artikel »»Vereine so in Unsicherheit zu halten, ist dramatisch«« einblenden / ausblenden

»Vereine so in Unsicherheit zu halten, ist dramatisch«

Kampf um Reform des Gemeinnützigkeitsrechts: Auslegung hängt an einzelnen Beamten. Ein Gespräch mit Stefan Diefenbach-Trommer

Mehr als 100 Vereine fordern in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, den Einsatz für demokratische Werte, Antidiskriminierung etc. endlich als gemeinnützig anzuerkennen. Sonst könnte eine nach Wahlen gestärkte AfD nämlich dasselbe tun wie bisher CDU und andere Bürgerliche: Das Gemeinnützigkeitsrecht nach der rechten Ecke ausprägen. Wie ist die Lage?

Ziel ist nicht etwa, das Recht nach parteipolitischen Forderungen auszurichten. Es geht um das Engagement der Vereine für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Grundrechte, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und andere immer wieder einfordern. Das ist vom Recht auf Gemeinnützigkeit nicht gedeckt. Klares und eindeutiges Recht muss das Tor für autoritär und konservativ geprägte Auslegungen schließen. Das veraltete Gemeinnützigkeitsrecht atmet eher den Geist der 1960er und früher, als dass es einer modernen Demokratie im 21. Jahrhundert entspräche. Wir erleben, dass Menschen in den Finanzämtern die Gemeinnützigkeit im Einzelfall sehr unterschiedlich beurteilen: Weil man sich des veralteten Rechts bewusst ist, wird es mitunter großzügig gehandhabt.

Fortschrittliche Vereine verlieren mitunter die Gemeinnützigkeit. ATTAC und VVN können ein Lied davon singen

Es gibt drei Probleme. Erstens: Ein Taubenzüchter- oder Tanzverein will sich etwa im Fall eines aktuellen rassistischen Anschlags für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aussprechen. Nach dem Recht dürfen sie nur dem eigenen Zweck nachgehen, eben Tauben züchten oder tanzen. Zweitens: Ein gemeinnütziger Verein will der Förderung des Menschenrechts und der Rechtsstaatlichkeit dauerhaft nachgehen. Er muss einen im Gesetz aufgelisteten Zweck angeben können. Drittens: Ein Verein soll nicht überwiegend zu politischen Mitteln greifen, etwa zu Demonstrationen oder zu politischen Forderungen. Die Lücke zum veralteten Gesetz muss geschlossen werden. Nach jetzigem Recht geht das nur, indem Finanzbeamte »die Augen zudrücken«. Ein Verein kann aber das Pech haben, dass zuständige Beamte das anders sehen oder alles sehr regelgetreu auslegen. Es darf nicht sein, dass die Auslegung vom Wohlwollen einzelner Personen abhängt. Möchte der Gesetzgeber, dass sich Menschen für Demokratie einsetzen, sollte er es ins Gesetz hineinschreiben.

Plötzlich ist auch der Mainstream um das geltende Gemeinnützigkeitsrecht besorgt, inklusive Exbundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP. Jetzt scheint aufzufallen, dass die AfD, wenn sie an der Macht ist, Finanzämter anweisen könnte, Vereine zu ruinieren, die sich gegen Faschismus und extreme Rechte einsetzen. Gibt es Anhaltspunkte dafür?

In unserer demokratischen Kultur ist es bisher so verankert, dass Minister »ihrem« Finanzamt nicht sagen, wie es zu entscheiden hat. Für autoritäres Durchregieren offene Parteien könnten das ändern. Ein Horrorszenario wäre, dass ein Finanzminister der AfD die demokratische Zivilgesellschaft als Kontrolleur der Regierung ausschalten will.

Hilft es, wenn Leutheusser-Schnarrenberger im Interview mit dem Deutschlandfunk »klarstellende Regelungen« fordert?

Sie argumentiert als engagierte Liberale für den Rechtsstaat, der nicht hart ist, sondern sich selbst Grenzen setzt, zum Schutz der Bürger vor einer Übergriffigkeit des Staates. Wie es das Grundgesetz vorsieht. Das Gemeinnützigkeitsrecht so auszugestalten, ist im Koalitionsvertrag vereinbart.

Müsste es nicht im Interesse der Regierung liegen, das Gesetz schnell auf den Weg zu bringen, damit Finanzbehörden nicht Vereine, die zu Demos gegen rechts aufrufen, als »einseitig« beanstanden?

Das Gemeinnützigkeitsgesetz muss auf jeden Fall zügig auf den Weg gebracht werden. Eine eigens dafür eingesetzte Arbeitsgruppe hat sich aber seit Beginn des Jahres nicht mehr getroffen.

Drängt die Zeit, weil sich die politischen Verhältnisse bald stark nach rechts verschieben könnten?

Im Entwurf für das Jahressteuergesetz 2024 ist keine Änderung zu sehen. Die Vereine so in Unsicherheit zu halten, ist dramatisch.

Leserbriefe müssen redaktionell freigeschaltet werden, bevor sie auf jungewelt.de erscheinen. Bitte beachten Sie, dass wir die Leserbriefe Montags bis Freitags zwischen 10 und 18 Uhr betreuen, es kann also einige Stunden dauern, bis Ihr Leserbrief freigeschaltet wird.

Sie erklären sich damit einverstanden, dass wir dessen Inhalt ggfls. gekürzt in der gedruckten bzw. Online-Ausgabe der Tageszeitung junge Welt und in sog. sozialen Netzwerken wiedergeben können. Es besteht kein Anspruch auf Veröffentlichung. Die junge Welt behält sich Kürzung Ihres Leserbriefs vor.

Bitte beachten Sie unsere Netiquette (einblenden / ausblenden)

Netiquette

Liebe Leserin, lieber Leser,

bitte beachten Sie die folgenden Hinweise für Ihre Beiträge zur Debatte.

Ihr Leserbrief sollte sich auf das Thema des Artikels beziehen. Veröffentlicht wird Ihr Beitrag unter Angabe Ihres Namens und Ihres Wohnortes. Nachname und Wohnort können abgekürzt werden. Bitte denken Sie daran, dass Ihr Text auch nach Jahren noch im Internet auffindbar sein wird. Wir behalten uns eine redaktionelle Prüfung vor, ein Anspruch auf Veröffentlichung besteht nicht.

Für uns und unsere Leser sind Ihre eigenen Argumente interessant. Texte anderer sollen hier nicht verwendet werden. Bitte bleiben Sie auch im Meinungsstreit höflich. Schmähungen oder Schimpfwörter, aggressive oder vulgäre Sprache haben hier keinen Platz. Denken Sie daran: »Auch der Haß gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge.« (Bertolt Brecht)

Äußerungen, die als diskriminierend, diffamierend oder rassistisch aufgefasst werden können, werden nicht toleriert. Hinweise auf kommerzielle Angebote jeder Art sind ausdrücklich nicht gewünscht. Bitte achten Sie auf die Orthografie und bitte nicht »schreien«: Beiträge, die in Großbuchstaben abgefasst wurden, werden von uns gelöscht.

Die Moderation bedeutet für unsere Redaktion einen zusätzlichen Aufwand: Leserbriefe zu älteren Artikeln sind deshalb nur befristet möglich. Außerdem kann es etwas Zeit in Anspruch nehmen, bis die Redaktion Ihren Leserbrief bearbeiten kann, dafür bitten wir um Verständnis. Orthografische Änderungen durch die Moderation machen wir nicht kenntlich, Streichungen mit eckigen Klammern.

Viel Freude am Debattieren!