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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel In eigener Sache: junge Welt hält Kurs vom 10.08.2019:

Ohne Alternative

Neben einigen kleineren Leserbriefen hatte ich mich am 2. September 2019 mit einem längeren Beitrag in den Streit zwischen jW und ihren Kritikern aus MEZ, Freidenkern und einigen freien Autoren/Journalisten eingemischt. Obwohl die Kritiker (vor allem um Klaus Hartmann und Marianna Schauzu) der jW unterstellen, keine offene Debatte zu führen, sind zumindest meine Leserbriefe und auch der Text vom 2. September in der jW veröffentlicht worden, während Freidenkerverband und MEZ meine schriftlich formulierten Gedanken nicht zur Kenntnis nehmen, ja nicht einmal ein Forum/ein Format eingerichtet haben, in dem sich eine Diskussion abspielen könnte, statt dessen »no reply«.
Ich bin sowohl Genossenschaftsmitglied der jW wie auch Mitglied des Deutschen Freidenkerverbands. Doch ich empfinde einen großen Unterschied, wie ich als einfaches Mitglied jeweils behandelt – oder soll ich sagen: ernst genommen? – werde.
Die kleinkarierten Wortklaubereien, die die Kritiker der jW als politisch gefährliche Verfehlungen wittern, kann und mag ich nicht nachvollziehen. Wenn überhaupt, würde ich bedenkliche Tendenzen auf seiten der Kritiker annehmen: Wie kann man einer Tageszeitung vorwerfen, sie sei nicht (mehr) »marxistisch« (Hajo Kahlkes Entwürfe in NRhZ)? Was drücken die Kritiker mit dem Wörtchen »marxistisch« aus? Ich glaube, Karl Marx würde sich in London im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass seine Theorie, sein Denken zu einem Adjektiv verkümmert sind, mit Hilfe dessen sich jemand aufschwingt, zu richten und zu verurteilen.
Die beiden Termini »marxistisch«, »Marxismus« werden oft in einer Weise benutzt, als wenn sie von einer festgelegten Einschätzung der Lebenswirklichkeit, einem Regelwerk, unterlegt sind – wie eine Religion. Daraus folgend, kann dann die Übertretung dieses Werte- und Moralsystems mit Sanktionen geahndet werden – wie bei einer Sekte. Und wie bei einer Religion bzw. einer Sekte liegt nicht offen dar, wer eigentlich die Einschätzungen, das Regelwerk, das Werte- und Moralsystem, kurz: die sogenannte Theorie und Politikpraxis, definiert und bestimmt – oder soll ich sagen: erfunden hat? Also streitet man sich um des Kaisers Bart – aber nicht um die Legitimation des Kaisers selbst: seine Abschaffung!
»Marxismus« ist kein geschlossenes Denksystem, keine Ideologie, kein Religionsersatz, vielmehr eine Wissenschaft über den dialektischen und historischen Materialismus mit seinen symbolischen Ausformungen, hilfreich bei der politischen Praxis von Klassenkampf und Revolution. Ich plädiere für eine durchdachte sorgfältige Nutzung der Begriffe, die auf Marx verweisen!
Ähnliches gilt für die beiden Worthülsen »rechts« und »links« – geschichtlich aus der Sitzplazierung im Parlament entstanden und bis heute nicht mit anderem Inhalt gefüllt –, die zur Denunzierung benutzt werden, aber in keinster Weise komplexe gesellschaftliche Realitäten oder Utopien ausdrücken. Das Wort »links« ersetzt im Sprachgebrauch heute sogar die Bezeichnung »sozialistisch«, und durch den Gebrauch des Worts »rechts« werden heute die Bezeichnungen »faschistoid«, »faschistisch« vermieden.
Im Streit um die Rosa-Luxemburg-Konferenz wird mit vagen, unklaren Wörtern ausgeteilt. Dabei benehmen sich die Kritiker, als wenn sie die Weisheit durch Gott Zeus aus dem Olymp schöpfen durften.
Die jW kämpft als einzige bundesweite deutsche Tageszeitung um sachlichen, wahrhaftigen Journalismus, der den Ausgebeuteten nützt, ist parteilich für eine virtuelle Opposition (denn Opposition ist in der deutschen Gesellschaft tatsächlich gar nicht entwickelt), pflegt sozialistische Ambitionen und will auf keinen Fall einer parteipolitischen Richtung dienen. Für diese Aufgabe verzeihe ich der jW den einen oder anderen Schnitzer, den einen oder anderen Unterton bei dem einen oder anderen Redakteur, die eine oder andere falsche Gewichtung von Nachrichten. Wenn es mir zu schlimm kommt, schreibe ich einen Leserbrief, der garantiert gedruckt wird.
Ich bedaure, dass sich die Kritiker von Freidenkerverband, NRhZ und MEZ nicht freundlich, heißt: nicht wie Gesinnungsfreunde, gegenüber der jW benehmen.
Gibt es eine Alternative zu Freundschaft, Komplizenschaft und gegenseitiger Hilfe, Solidarität, im Kampf gegen Krieg und Knechtung?
Beate Brockmann, Praelo/Italien
Veröffentlicht in der jungen Welt am 07.01.2020.
Weitere Leserbriefe zu diesem Artikel:
  • Solidarität mit junge Welt

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