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Aus: Ausgabe vom 25.02.2012, Seite 16 / Aktion

Färbt ab: Ein »Shitstorm«

Wieder einmal befassen sich einige Medien mit jW: Ihnen paßt die Zeitung nicht
Von Arnold Schölzel
Umgang mit Nazitrollen ist in jW eine Pflichtübung
Umgang mit Nazitrollen ist in jW eine Pflichtübung
Laut dem Internetlexikon Wikipedia handelt es sich bei einem »Shitstorm«, was sich freundlich mit »Empörungswelle« übersetzen läßt, um »ein Internetphänomen, bei dem massenhafte öffentliche Entrüstung sachliche Kritik mit zahlreichen unsachlichen Beiträgen vermischt«. Er stelle einen »Angriff auf die Reputation eines Unternehmens oder einer einzelnen Person dar« und werde typischerweise mit Bedacht gestartet, z.B. »durch eine negative Bewertung nach einer schlechten Nacht in einem Hotel oder einer negativen Produktbewertung in einem Online-Shop«.

Wie jW berichtete (siehe jW vom 11./12. Februar), gibt es seit einigen Wochen den Versuch, im Internet so etwas wie einen »Shitstorm« gegen diese Zeitung zu entfesseln. Anlaß ist die arbeitsrechtliche Auseinandersetzung, in der sich der Verlag 8. Mai GmbH, der jW herausgibt, seit Dezember 2011 mit dem Kollegen Rainer Balcero­wiak befindet. Am vergangenen Montag fand dazu ein Termin beim Berliner Arbeitsgericht statt, der aber nach wenigen Minuten vertagt wurde.

»Shit« gab es bis dahin ausreichend im Internet, allerdings keinen Sturm. Bemerkenswert erscheint, daß sich dennoch die Frankfurter Allgemeine Zeitung zum ersten Mal und das Rechtsaußenblatt Junge Freiheit in dieser Woche bereits zum zweiten Mal mit dem Verfahren und mit jW befaßten.

Dabei hatte alles mit Beiträgen begonnen, deren Urheber sich in irgend­einer Form zur Linken zählen – eine politische Einordnung, die allerdings für jW schon recht früh in Anführungszeichen, also in Frage gestellt wurde. Nicht nur das deutete darauf hin, daß es den maßgeblich Beteiligten nicht um diese oder jene Seite des Verfahrens ging, sondern um die Zeitung, ihre Ausrichtung und um einige Personen, die in Verlag und Redak­tion arbeiten. Die erste E-Mail, in der über das Verfahren unter Weglassung wesentlicher Tatsachen und mit falschen Behauptungen berichtet wurde, wurde nach den jW vorliegenden Informationen am 1. Februar vom Mitarbeiter der linken Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen und jW-Autor Birger Scholz von dessen E-Mail-Account im Düsseldorfer Landtag verschickt. Scholz teilte dort mit, der von ihm versandte Text zirkuliere »aktuell in basisgewerkschaftlichen und syndikalistischen Zusammenhängen in Berlin«. Erst einen Tag später erschien eben der verschickte Artikel unter der Überschrift »junge Welt – Da grinst Stalin freundlich aus seiner Gruft« in dem Internetblog duckhome.de, als Autor wurde dessen Betreiber Jochen Hoff angegeben. Das mit Stalin marktkonform aufgepeppte Produkt wanderte zu weiteren Blogs, wobei sich die Internetseite scharf-links, die sich in der Vergangenheit gern bei jW-Texten ohne Quellenangabe bediente, besonders aggressiv gebärdete, und landete schließlich bei einem Internetportal wie labournet, mit dem jW des öfteren kooperiert hatte.

Letzterer Umstand war für jW Anlaß, sich am 11. Februar erstmals zu diesen Vorgängen zu äußern und die gröbsten Lügen richtigzustellen. Darauf verschärfte sich der Ton erheblich. Bereits am 12. Februar wurde anonym auf die Internetseite indymedia.org ein Beitrag gestellt, in dem der Zweck der Übung hoffnungsvoll so formuliert wurde: »Die jW wird die Diskus­sion mit der üblichen Bunkermentalität wohl überleben. Doch schon jetzt hat die Zeitung viel Sympathie bei ihrem Zielpublikum eingebüßt. Wenn sich das Blatt aber dauerhaft als ernstzunehmendes Medium positionieren will, muß sich die Geschäftsführung einer offenen Diskussion über Transparenz, Organisation, Mitbestimmung, Mitarbeiterrechte und Arbeitsbedingungen bei einer sich selbst links nennenden Zeitung stellen.« Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich keiner dieser Dunkelmänner (und -frauen) der Totaltransparenz bei jW-Betriebsrat, Chefredaktion oder Geschäftsführung nach deren Sicht erkundigt.


Am 10. Februar nahm sich das erste Druckerzeugnis der Sache an: Das Verständigungsorgan der deutschen Nadelstreifenneonazis Junge Freiheit. Es war nicht das erste Mal, daß sich das Blatt mit jW-Beobachtung profiliert. Anfang 2011 trat seine Online-Ausgabe einen Verfolgungsfuror los, als es den innenpolitischen Sprecher der Berliner Abgeordnetenhausfrak­tion in einem Interview über die Teilnahme der Publizistin Inge Viett an der maßgeblich von jW getragenen Rosa-Luxemburg-Konferenz sich empören ließ. Die sogenannten Qualitätsmedien der Republik folgten, die Junge Freiheit wurde von Christian Bommarius in der Berliner Zeitung mit der Bezeichnung »rote Faschisten« für die Teilnehmer der Konferenz (weil »rotlackiert« zu schwach sei) mühelos geschlagen. Die Justiz eröffnete gegen Inge Viett und den jW-Chefredakteur zwei getrennte Verfahren. Nun lag die Junge Freiheit erneut vorn, hatte als stärkstes Argument die Vokabel »stalinistisch« im Angebot und übernahm die bis dahin im Internet verbreiteten Falschdarstellungen.

Am vergangenen Dienstag folgte die FAZ, deren Autor sich mit jW-Geschäftsführer Dietmar Koschmieder und der Betriebsratsvorsitzenden Regina Sommer in Verbindung gesetzt hatte, über das Verfahren. Unter dem kryptischen Titel »Dann dürft ihr nach Kuba« wurden die jeweiligen Standpunkte kurz skizziert. Zu lesen war, Blogger sprächen von »Belohnung für Treue zur Geschäftsführung« und »Mitarbeitern werde angst« gemacht.

Dieser Konstruktion eines Zuckerbrot- und Peitschenregimes zur Dressur von jW-Redakteuren folgte am Freitag nun die Junge Freiheit in ihrem zweiten Bericht über die Auseinandersetzung. Untertitel: »Der linken Tageszeitung drohen Spaltung und finanzielle Einbußen durch eine Mitarbeiterklage«. Da ist ein programmatischer Wunsch der Vater des Satzes. Auch anderer Formulierungen: Der Erfolg Balcerowiaks vor Gericht, so der Junge Freiheit-Autor, »könnte das Unternehmen über 100000 Euro an Gehaltsnachzahlungen kosten«. Das paßt in sein Wunschbild, das ansonsten mit reichlich Halluzinationen aus der Bloggersphäre gestaltet ist. Da heißt es z.B.: »Die Firma soll auch den Rest der Belegschaft gebeten haben, sich von ihm (Balcerowiak) zu distanzieren, weil er »›die jW zerstören‹ wolle.« Hier sei verraten: Angesichts der Forderung von mehr als 100000 Euro bedurfte es keiner Bitte von irgend jemandem. Und »sich distanzieren« ist geradezu verfälschend höflich für die Meinung nicht weniger in der jW-Belegschaft. Ansonsten hat der Junge Freiheit-Autor noch das im Internet geschnürte Paket zu bieten: »das verlagsinterne Regime von Geschäftsführer Koschmieder«, »ungleiche Bezahlung«, »mangelnde Mitbestimmung«, »Geheimniskrämerei der Chefetage und Günstlingswirtschaft«.

Das besagt: Medial hat die Geschichte die Rubrik »Neues vom Hintertreppenklatsch« nicht verlassen. Aber die Munition für größeres Geschütz ist bereitgelegt. Ein »Glaubwürdigkeitsproblem« habe jW, wird Kollege Balcerowiak in Junge Freiheit zitiert. Das erscheint etwas einseitig. Ein »Shitstorm« färbt ab.

bit.ly/vielfaeltige-allianzen

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Leserbriefe zu diesem Artikel:

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  • Hajo Kahlke: Anlass zum Nachdenken Dass der Kollege Rainer Balcerowiak mit seiner Klage gegen die junge Welt bzw. gegen den Verlag 8.Mai völlig durchgeknallt ist, erscheint mir offensichtlich. Aber wie konnte es überhaupt soweit kommen...

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