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Aus: Ausgabe vom 18.08.2012, Seite 16 / Aktion

Distanz zum Diktator

Warum Glückwünsche für Fidel ein kleines Problem sind
Von Dietmar Koschmieder
Neuer Internationalismus am Freitag vor der russischen Botschaft
Neuer Internationalismus am Freitag vor der russischen Botschaft in Berlin
Der Berliner Tagesspiegel hat mal wieder keine Ahnung. Auf Seite eins beschreibt Kolumnist Matthies in der Ausgabe vom 14. August 2012, wie der »greise Ursozialist« Fidel Castro, der tags zuvor seinen 86. Geburtstag in kleinem Kreise gefeiert hatte, jetzt zigarrerauchend, aber verdrossen in den »wenigen Glückwunschkarten« blättert: »Chavez, Achmadi-Dings, Noam Chomsky, die ›Junge Welt‹, alles wie immer, nur eben …« Fidel sei enttäuscht, es fehle die Karte mit Glückwünschen der Linkspartei-Führung. Wie gesagt, dieser Matthies hat keinen Dunst: Fidel raucht schon lange nicht mehr.

Auch die Zeitung der braunen Nadelstreifenträger Junge Freiheit blickt nicht durch, obwohl es da schon schwieriger wird, zwischen Dummheit und gezielter Desinformation zu unterscheiden. Mal steht die junge Welt vor der Spaltung (Ausgabe vom 24. Februar 2012), mal vor dem Aus (10. August 2012), mal reagiert sie »beunruhigt auf die Berichterstattung … insbesondere der Jungen Freiheit« (17. August 2012). Weil Fidel Castro »auf ein Glückwunschschreiben aus Berlin (…) vergeblich gewartet habe« – wenn man mal von der Gratulation der jungen Welt absieht – teilt die Rechtspostille auf ihrer Internetseite am 14. August 2012 mit: »Linke geht auf Distanz zu Diktator Castro« und Parteispitze will sich »mit dem Diktator nicht mehr gemeinmachen«.

Was hat das Neue Deutschland, die Zeitung mit direkter Anbindung an die Linkspartei, dazu zu berichten? In der Ausgabe vom 13. August 2012 wird zwar nicht Castro, dafür aber ein »Maueropfer« gewürdigt. Erst einen Tag später wird berichtet, daß Die Linke auf Glückwünsche verzichtete. »Wir haben, glaube ich, gerade drängendere Probleme«, wird Parteichef Bernd Riexinger zitiert. Ein Jahr zuvor hatten die Parteivorsitzenden Lötzsch und Ernst dem Comandante noch gratuliert und die »beispiellosen sozialen Errungenschaften« Kubas gewürdigt. Bürgerliche Parteien hätten mit scharfer Kritik auf die Grüße reagiert. Daß scharfe Kritik besonders aus den eigenen Reihen kam, wurde nicht erwähnt.


Hinweise darauf, was es so alles Wichtigeres gab in diesen Tagen, liefern die genannten Zeitungen ebenfalls. Auf der Seite eins der Rechtspostille Junge Freiheit vom 17. August 2012 regt sich der Chefredakteur darüber auf, daß die CDU keinen Widerstand gegen links mehr leiste. Die 13 CDU-Abgeordneten, die unlängst öffentlich für die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe eintraten, werden als die »dreizehn Quislinge der Homolobby« beschimpft (Quislinge werden jene genannt, die mit dem Feind zusammenarbeiten, bezeichnet nach dem faschistischen Politiker Vidkun Quisling). »Die Kirchen«, wird weiter geklagt, »profilieren sich lieber beim ›Kampf gegen rechts‹, als Institutionen wie Ehe und Familie zu verteidigen«. Dabei gäbe es doch »Wichtigeres als die Forderung nach einem Ehegattensplitting für gleichgeschlechtliche Paare«, wie es im Titelspruch der Titelseite der Adelstitelträger heißt.

Und was hatte nun die Linkspartei Wichtigeres zu tun? Rege wurde in diesen Tagen auf verschiedenen Parteiebenen für eine Kundgebung am Freitag vor der russischen Botschaft in Berlin gegen die Verurteilung der drei Pussy-Riot-Frauen mobilisiert. »Vielleicht möchten ja auch einige KollegInnen (…) morgen vor der russischen Botschaft mal richtig rocken, zumal unsere Partei (…) Mitorganisatorin der Proteste ist«, heißt es in einer der Mobilisierungsmails. Näheres wird an diesem Samstag im Neuen Deutschland und im Tagesspiegel stehen. Mit scharfer Kritik bürgerlicher Parteien ist nicht zu rechnen, auch nicht mit Protesten aus den eigenen Reihen.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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