Aus: Ausgabe vom 25.08.2012, Seite 16 / Aktion
Im eigenen Land
Von Dietmar KoschmiederMehr Milde darf man von der Justiz erwarten, wenn man ganz praktisch versucht, Menschen abzufackeln. Als vor 20 Jahren Nazis und ein aufgebrachter rechter Mob in Rostock-Lichtenhagen ein großes Wohnhaus mit etwa 120 Bewohnern, darunter Vietnamesen, in Brand steckten, durften anwesende Polizisten ausdrücklich nicht eingreifen. Feuerwehrautos wurden nicht durchgelassen. Im Brandhaus eingeschlossene Journalisten in Todesangst beschlossen, Abschiedssätze für die Nächsten auf Tonbänder zu sprechen. Nur drei der Brandstifter wurden – zehn Jahre später - verurteilt: Für gemeinschaftlich versuchten Mord und schwere Brandstiftung erhielten sie zwischen 12 und 18 Monate – auf Bewährung.
Am 29. August 1992 – ein Wochenende nach dem Verbrechen – mobilisierten linke Gruppen und Initiativen zu einer großen Protestkundgebung nach Rostock. Und wenn schon zuvor Medien wie Bild mit massiver Hetze gegen Asylbewerber die Stimmung aufheizten, kamen das Springerblatt und andere jetzt nochmal so richtig in Fahrt: »Rostock in Angst«, titelte die Berlin/Brandenburger Ausgabe. 12000 überwiegend linke Demonstranten und 1000 Rechtsradikale werden zur Demo erwartet – »fast alle schwerbewaffnet«, log Bild. An der ganzen Geschichte drehe natürlich die Stasi, wird der BKA-Chef zitiert.
Es waren 20000 Bürger, die dann an jenem Samstag gegen die Ausschreitungen in Lichtenhagen demonstrierten, darunter viele Rostocker. Und diesmal hielt sich die Polizei nicht zurück, sondern übte Bürgerkrieg. Den uniformierten Beamten wurde befohlen, mit den Demonstranten auf Tuchfühlung zu gehen und zweireihig den Zug einzuengen. Mehrere Mannschaftshubschrauber kreisten und landeten immer wieder dicht am Demonstrationszug, Einsatzkräfte stürmten heraus. Trotzdem ging die Demonstration friedlich zu Ende. Am Schluß versuchten zwar einige Vermummte, mit ein bißchen Randale doch noch Fotos für einschlägige Medien zu liefern, sie wurden aber ausgerechnet von Autonomen gestoppt, die sie als Provokateure enttarnten. Trotzdem kommentierte Bundeskanzler Helmut Kohl einen Tag später in Bild am Sonntag, daß links- und rechtsextremistische Gewalttäter in Rostock das Ansehen Deutschlands sowie Leben und Gesundheit anderer Menschen bewußt aufs Spiel gesetzt hätten.
2007 gab es ähnliche Schlagzeilen: Rostock lag angeblich in Schutt und Asche in Folge der Gegendemonstrationen zum G-8-Gipfel. Die Bundeswehr wurde eingesetzt, obwohl Grundgesetz und Gerichte den Einsatz im Innern verbieten. Zumindest galt dies bis letzte Woche. Da hat das Bundesverfassungsgericht mal rasch die Verfassung geändert und den Einsatz schwerer Waffen in »ungewöhnlichen Ausnahmesituationen« im Innern ausdrücklich erlaubt. Von daher ist nachvollziehbar, wenn über das Abfackeln von Bundeswehrausrüstung in Kriegsfällen noch nicht einmal theoretisch nachgedacht werden darf: Die Bundeswehr befindet sich längst im Krieg und bereitet sich auf weitere Kriege vor. Nicht nur im Ausland. Die Erkenntnis, daß der Hauptfeind im eigenen Land steht, gilt eben nicht nur für die konsequente Linke.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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