Aus: Ausgabe vom 16.02.2013, Seite 16 / Aktion
Herrschender Konsens
Von Dietmar KoschmiederNun ist es keineswegs üblich, daß junge Welt in Berichten von Bündnisveranstaltungen Rednerinnen und Redner sowie ihre Reden in Gänze oder auch nur teilweise auflistet. Vielmehr wird bewußt eine Auswahl getroffen. Dies ist dann eine Entscheidung des Autors oder der Redaktion. Und die kann falsch sein oder hätte anders ausfallen können und ist deshalb diskutier- und kritisierbar. Wenn aber allein den Umstand, daß jW den Redetext von Inge Viett abgedruckt und andere Redner nicht erwähnt hat, ohne weiteres Argument inkriminiert wird, ist das noch keine produktive Kritik. Noch eigenartiger wird es, wenn der junge Welt-Autor in der Erklärung der DKP München als Mitglied der DKP Berlin geoutet und eine seiner privaten E-Mails an eine andere Person komplett veröffentlicht wird. In der hat der jW-Autor bedauerlicherweise nicht sachlich argumentiert, sondern Befindlichkeiten kundgetan, was ohne Zweifel falsch war. Der Vorgang trug zur Entsachlichung bei, öffentlich benutzt hat ihn aber nur eine Seite. Wer zum Inhalt der Viett-Rede nicht einen konkreten Punkt benennt, der falsch sei, hingegen Platz für die Wiedergabe einer persönlichen E-Mail findet, will offensichtlich von inhaltlichen Kontroversen ablenken.
Aber nur scheinbar wird hier an der Oberfläche laboriert, Stimmung gemacht. Wie immer geht es gerade dann um Inhalte, wenn sie versteckt werden. Der Meinungsstreit um den Auftritt von Inge Viett wird nicht als Möglichkeit gesehen, politische Positionen abzustecken, für Klarheit zu sorgen. Statt dessen wird explizit diese nötige inhaltliche Auseinandersetzung als »weitere Mine zum Sprengen des Bündnisses« bezeichnet. Der Viett-Auftritt wurde von der DKP München abgelehnt, auch »weil damit den Medien die Munition geliefert würde, das Bündnis zu diffamieren und – statt über unsere Antikriegspositionen – hauptsächlich über eine Personalie und ihre Vergangenheit zu berichten.« Als ob »die Medien« ohne den Auftritt von Inge Viett hauptsächlich über die Antikriegspositionen des Bündnisses berichtet hätten. In der Erklärung wird nur in zwei Sätzen auf Inhalte der Rede eingegangen, und die lauten: »Auch wenn wir ihrer Rede inhaltlich in vielen Punkten nicht zustimmen und diese für falsch halten, sind wir für eine Debatte über Perspektiven des antimilitaristischen Kampfes jederzeit offen. Aber nicht auf Kosten der Breite der Antikriegsbewegung.« Eine inhaltliche Debatte auf wessen Kosten? Auf Kosten der Breite der Bewegung? Weil bestimmte Medien sich echauffieren könnten? Die interessierten sich nicht für Frau Viett, wenn sie nach Verbüßen ihrer langjährigen Haftstrafe zerknirscht oder reumütig oder resigniert abgetaucht wäre. Was stört, ist nicht ihre Vergangenheit, sondern daß sie heute eine konsequent antikapitalistische Haltung einnimmt. Sie unterscheidet sich in ihrer Rede nur in einem Punkt von den meisten anderen Referenten der angesprochenen Veranstaltung, in dem sie Rosa Luxemburg zitiert: »Solange das Kapital herrscht, werden Rüstungen und Krieg nicht aufhören«. Und mit eigenen Worten hinzufügt: »Mit der Zerstörung der kapitalistischen Machtverhältnisse wird auch die Kriegslogik gebrochen.« Und deshalb am Schluß ihrer Rede den Teilnehmern zuruft: »Für den Kommunismus!«. Dieser Einschätzung werden wohl nicht alle am Bündnis Beteiligten zustimmen (und müssen das auch gar nicht), aber wenn eine solche Position aus dem Bündnis gedrängt werden soll, damit die Breite bleibt, hat es eine solche wohl nie gegeben. Wer es statt dessen von der zu erwartenden Reaktion bürgerlicher Medien abhängig macht, wer wann und wo was reden darf, muß sich die Frage gefallen lassen, mit wem er den Konsens eigentlich sucht.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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