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Aus: Ausgabe vom 29.06.2013, Seite 16 / Aktion

Korken der neuen Zeit

Die letzten Lebendigen haben sich bei der jungen Welt versammelt, enthüllt der Tagesspiegel
Von Dietmar Koschmieder
Egon Krenz am 26. Juni bei der jungen Welt
Egon Krenz am 26. Juni bei der jungen Welt
Mit dem Internet kann man wunderbar kreative Werke, Informationen und Meinungen teilen, kopieren und weitergeben. Manche Künstler nutzen diesen Weg, um sich bekannt zu machen. Andere wiederum, oder genauer gesagt ihre Vermarkter, stört das. Wie soll man Geld verdienen, wenn die sogenannte Gratiskultur überall hereinbricht?

Gratiskultur: Ein anderer Begriff für Kommunismus? In seiner höheren Form soll sich der nach Marx auf die Fahne schreiben: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen«. Da wir aber den Kommunismus nicht einmal in seiner einfachen Form kennen und sozialistische Verhältnisse nicht mehr haben, wird das wohl noch etwas dauern mit der Gratiskultur, in der man Geld nicht braucht. Andererseits: Haben Marx und Engels nicht darauf hingewiesen, daß sich das Neue bereits im Alten zeigt?

Wie sich das Alte auch im Neuen gezeigt hat: Darüber berichtet Egon Krenz, Ende 1989 Staatsratsvorsitzender der DDR, in seinen Büchern. Sein neuestes über Walter Ulbricht hat er diese Woche in der jW-Ladengalerie vorgestellt. Die in Berlin erscheinende BZ berichtet darüber: »Für die einen war Ulbricht gefürchteter Diktator. Unter ihm landeten Tausende in DDR-Zuchthäusern. Andere lachten über ihn als Witzfigur.« Nur Egon Krenz nicht. Der erinnert daran, daß Ulbricht eine Teilung Deutschlands nicht wollte. Das, so die BZ, »verhöhnt 17 Millionen Ostdeutsche«. Also alle Zuchthäusler, Diktaturopfer, Witzereißer, andere gab es in der DDR sowieso nicht.


Auch Robert Ide, Reporter des Berliner Tagesspiegels, hat sich in den Laden getraut und muß verblüfft zur Kenntnis nehmen, daß der rappelvoll ist und viele noch vor der Türe stehen. In seinem Bericht verschweigt er lange, wo er sich eigentlich aufhält, obwohl jeder Schüler weiß, daß W-Fragen anfangs zu beantworten sind. Er aber gießt lieber Hohn und Spott über Egon Krenz. Endlich, nach fünf Absätzen und 354 Worten, enthüllt er: »Hier an der Torstraße im Kulturladen der Jungen Welt, der ehemaligen Jugendzeitung dieses ehemaligen Staates, die nicht untergegangen ist und heute eine Rentnerzeitung ist, genau hier findet heute eine Trauerstunde der letzten Lebendigen statt. Auf der anderen Straßenseite knallen im hippen ›Soho-House‹ die Korken der neuen Zeit in einem alten DDR-Parteigebäude…«

Na ja: Die Soho-Club-Vermieter finden die junge Welt jedenfalls so hip, daß sie diese anfragten, ob sie sich nicht im Hause einmieten wolle. Konnte der Tagesspiegel ja nicht wissen, aber das: Die junge Welt ist die Tageszeitung mit den jüngsten Leserinnen und Lesern. Dabei wird Egon Krenz, der jungen Welt und den anderen »letzten Lebendigen« nicht ihr Alter nachgetragen, sondern der Umstand, daß sie weiterhin zum ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden stehen. Und daß sie gern weiter daran arbeiten würden, den Kommunismus möglich zu machen, eine Gesellschaft, »in der das Privateigentum an Produktionsmittel aufgehoben sein und die Produktion des gesellschaftlichen Lebens rational und gemeinschaftlich geplant und durchgeführt werden soll«, wie es bei Wikipedia heißt.

Aber so eine Idee steht dafür, Reichtum fair zu verteilen. Das darf nicht sein. Noch nicht einmal im Internet. Die Geschäftsgrundlagen von Qualitätszeitungen wie BZ und Tagesspiegel werden durch Gratiskultur gefährdet – nicht etwa durch deren journalistische Qualität. Zwar haben es Egon Krenz, seine Vorgänger und nicht wenige von 17 Millionen DDR-Bürgern nicht bis zum Kommunismus geschafft. Aber allein, weil sie es versucht haben, wird man in hundert Jahren noch anerkennend von ihnen reden. Wer aber ist (schon heute) Robert Ide? Bis der höhere Kommunismus erkämpft wird, braucht die junge Welt allerdings Geld, um Zeitung und Veranstaltungen machen zu können. Auch deshalb bitten wir um ein Abonnement.

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Leserbriefe zu diesem Artikel:

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