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Aus: Ausgabe vom 13.06.2001 / Feuilleton

Schriftverkehr

Embargo muß fallen

* Zu jW vom 9./10. Juni: »Viel Aufregung um den Flug 154 M«

Auch Frieden Jetzt Chemnitz war Teilnehmer des 1. Direktfluges von Frankfurt nach Bagdad, und ich kann das Erlebte im Irak nicht mit dem Artikel übereinbringen. Es muß mehr erklärt werden, als nur unkommentierte Reisebeschreibungen und Allgemeines. (...) Jeder, der mitflog, war sich der Gewißheit bewußt, daß er sich in Gefahr begibt. (...) Sicher waren wir »bunt gemischt«, aber ich halte die Formulierung nach Art »Besuchsmitflieger wegen der Einfachheit« schlichtweg einfach für falsch. Sicher waren auch einige Vertreter von mittelständischen Unternehmen darunter - gut so. Jeder Arbeitsplatz, der im Irak geschaffen oder gehalten wird, sichert einer Familie das Überleben. Und wir sollten bei der Reise in den Irak nicht von dem reden, worüber alle reden - von Saddam -, wir sollten von den Menschen und unseren Eindrücken sprechen. (...) Wir haben Kinder im Saddam-Krankenhaus von Bagdad gesehen, die zum Sterben nach Bagdad gekommen sind. (...) Da liegt vor uns ein kleines Mädchen, der Chefarzt erklärt teilnahmslos und eigentlich gebrochen die Symptome der Krankheit. Überall in ihrem Körper befinden sich Krebszellen. Sie wird sterben. Daneben ein kleiner Junge, vielleicht vier oder fünf Jahre. Seine großen dunklen Augen sehen uns an, Leukämie. (...) Ein Zimmer weiter, zwei Mädchen, eines davon hat ihre Kopfhaare verloren als Folge einer Chemotherapie.

Verabreicht werden nur einzelne Bestandteile der Chemotherapie, mehrere Komponenten sind nicht lieferbar - Embargo. Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden. Auch in Deutschland sterben Kinder an Krebs und an Leukämie. Die Ohnmacht im Irak ist, daß die meisten Kinder nicht sterben müßten, wenn Medikamente da wären. Im Jahre 2000 starben 80 000 Kinder unter fünf Jahren an Krankheiten, über die man in Deutschland lacht. (...) Und auch das möchte ich den »Gegnern des Irak-Fluges« sagen. Jedes Pro und Contra zum Irak ist nicht das Sterben eines Kindes wert. Der Minister für Gesundheit und auch der Minister für Handel bringen es dann noch einmal auf den Punkt. Der Irak wird »zur Ader gelassen und ausgeblutet«. Von 1997 bis 2000 lieferte der Irak für 45 Mrd. US$ Öl, zurück bekam er in Form von Warenlieferungen 11,5 Mrd. US$. 33 Mrd. US$ werden von der UNO zurückbehalten bzw. sind »abgezweigt«.

Resümee: Das Embargo gegen den Irak muß sofort und ohne Vorbedingungen fallen. Der Irak hat sich dafür zu öffnen und die Menschen müssen, wenn das Embargo gefallen ist, selbst und frei entscheiden, welche Regierung sie führen soll. Eine Einmischung von außen (ein Vorschreiben) ist nicht zulässig. Ich möchte hier noch einmal klarstellen, ich erkenne die Defizite im Land, und ich weiß von Exil-Irakern, wie es im Land zugeht. Ich bin nicht blind, aber das Embargo trifft nur die schwächsten Glieder in der Gesellschaft, Frauen, Kinder und alte Menschen. Deshalb: Schluß mit dem Embargo - Jetzt!

Jürgen Fischer, Vorsitzender »Frieden - Jetzt - Chemnitz« e.V.

* Wir bereiten weitere Hilfslieferungen vor. Unser Spendenkonto: Frieden Jetzt Chemnitz, Sparkasse Chemnitz, Kto.: 455 20 60 207, BLZ 870 50 00

40. Jahrestag

Nachhaltig haben wir es mit einer schier magischen Jahreszahl zu tun: Schon für die Kopfoberen der DDR gab es über viele Monate keinen wichtigeren Termin als den »40. Jahrestag«. So was prägt. Derzeit fordert Angela Merkel auf, das Vernunftgebotene - den Berliner Sumpf trockenzulegen, einen Neuanfang zu wagen - tunlichst zu unterlassen. Mauer her, Verstand weg! junge Welt nennt es nicht zu Unrecht »Schlammschlacht«.

Apropos: Bekanntlich ist im Jahre 9 nach Christi im Schlamm des Teutoburger Waldes (oder nahe bei) eine ganze Armee versunken. Dr. Merkel, eine gebildete Frau, ist sich klar, was Germanien anno 49 zu bestehen hatte: den »40. Jahrestag«.

Erhard Scherner, Schöneiche

Liebe Leserinnen und Leser,

am heutigen Mittwoch, so wurde gestern berichtet, treffen sich die Inhaber des Zeitungskonzerns Gruner+ Jahr (u. a. Berliner Zeitung, Sächsische Zeitung, Financial Times Deutschland, Népszabaság, Der Spiegel) zur Gesellschafterversammlung. Die Inhaber heißen Bertelsmann (74,9 Prozent) und Familie Jahr (25,1 Prozent). Bertelsmann, so war zu lesen, will an die Börse und sich von Geschäftsteilen trennen, die nicht genug Geld bringen. Dazu gehören Zeitungen. Wo Leser und Mitarbeiter Verfügungsmasse sind, stehen Pressefreiheit und Demokratie natürlich besonders hoch im Kurs.

Wir möchten gern die junge Welt als unabhängiges Unternehmen von Lesern und Mitarbeitern erhalten. Das bleibt eine gefährdete, aber nicht aussichtslose Sache. Aus Erfurt schrieb uns Marko Kiempel, daß er und seine Frau auf ein Soliabo umsteigen, »damit unsere drei Monate alte Tochter die junge Welt auch noch als kritische Tagesabwechslung lesen kann«. Zugleich spendete er 250 DM für den Erste- Hilfe-Fonds. Ganz herzlichen Dank!

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