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Aus: Ausgabe vom 01.08.2015, Seite 16 / Aktion

Nervöser Nazi-V-Mann

Geheimdienstler J. H. stellt weitere Forderungen an Macher und Leser der jungen Welt
Von Denis Gabriel
Polizeibeamte am Ort des Bombenanschlags in der Probsteigasse in
Polizeibeamte am Ort des Bombenanschlags in der Probsteigasse in Köln (19. Januar 2001)

Liest man die Nachrichten der letzten Tage, kann man feststellen, dass deutsche Geheimdienste in die Offensive gehen und Hemmungen verlieren. Die sogenannte Verfassungsschutzbehörde spielt dabei offensichtlich eine besondere Rolle. Einer, der mit dieser Behörde über Jahre zusammengearbeitet hat und gleichzeitig eine führende Figur in der Neonaziszene war, ist ein Herr, den man zur Zeit nur J. H. nennen darf. Obwohl es ja eigentlich so ist, dass jemand, der in der Öffentlichkeit auftritt, auch namentlich genannt werden darf. Und bisher üblich ist, dass immer dann, wenn es an einer Person, an einem Fall oder an den Umständen ein besonderes öffentliches Interesse gibt, Medien den Namen des oder der Beteiligten auch nennen dürfen. Wenn das aber junge Welt und anderen Medien über das Kölner Landgericht per einstweiliger Verfügung verboten wird, ist das ein massiver Eingriff in das Recht auf Information, ein Angriff auf die Pressefreiheit. Der Zeitung Die Welt wurde sogar verboten, den Spitznamen zu nennen, unter dem J. H. in der rechtsradikalen Szene bekannt ist.

Darüber haben wir vor einer Woche an dieser Stelle berichtet. Aber noch bevor der Artikel in den Druck gegangen war, erreichte die junge Welt schon die nächste Abmahnung von J. H.: Nun will er plötzlich entdeckt haben, dass in zwei weiteren Artikeln sein Namen genannt wurde, in denen über die kruden Umstände des Falles vom Bombenanschlag im Januar 2001 in der Kölner Probsteigasse und den Nazi, für den sich Ermittlungsbehörden komischerweise nicht interessieren, berichtet wurde. Auch in diesen beiden Beiträgen sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht seines Mandanten verletzt worden, teilt uns der Anwalt von J. H. mit und verlangt von der jungen Welt eine weitere strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung. Des weiteren sei ein Schadensersatzanspruch anzuerkennen, denkbar seien Kosten für eine neue Identität, einen erzwungenen Umzug und einen Arbeitsplatzwechsel, zudem habe J. H. Anspruch auf eine Geldentschädigung. Sowieso seien die Anwaltskosten auch für diese Abmahnung in Höhe von 1.954,47 Euro zu bezahlen. Natürlich werden wir uns gegen diese weiteren Forderungen wehren und auch diese Einschränkung der Pressefreiheit zurückweisen. Den Namen hatten wir zu diesem Zeitpunkt in den Berichten übrigens bereits auf J. H. eingekürzt. Wir wollen aber mit dem anstehenden Hauptsacheverfahren durchsetzen, dass man den Namen wieder nennen darf.

Denn jener J. H. ist nicht irgendwer, sondern der Stellvertreter vom »Hitler von Köln«, Axel Reitz. Während dessen Haftzeit führte er die neofaschistische Organisation »Kampfbund Deutscher Sozialisten«. In dieser Funktion hat er zum Beispiel ein Interview gegeben, in dem er sich für eine Querfront von linken und rechten Sozialisten auf der Basis des Bekenntnisses zu Volk und Heimat auspricht: »Die Linke«, so Kamerad H. in diesem Interview, müsse »endlich ihre ideologischen Scheuklappen abwerfen (...) und sich auf den Boden der Realität begeben« (Der Gegenangriff, Juni 2003). Sein jüngstes Interview darf er Spiegel online und Spiegel-TV geben und dort die Geschichte erzählen, dass er sich als Linker und Undercover-Antifaschist verstehe. Die ganze J.-H.-Rechtfertigungsgeschichte verkaufen die Spiegel-Mmedien mit der Lüge, dass dies das »erste Interview seines Lebens« gewesen sei (spiegel.de, 21.6.2015). Auch der Anwalt des J. H. behauptet in einem ZDF-Interview, sein Mandant habe lediglich seine Arbeit gut gemacht und stehe jetzt am Pranger. Die beschriebenen Tätermerkmale wie Haarfarbe und -länge oder Körpergröße stimmten nicht mit seiner damaligen Erscheinung überein (ZDF-»drehscheibe«, 3.7.2015).

Schwester und Vater des Opfers, nach deren Angaben das Phantombild erstellt wurde, konnten J. H. bei der Vorlage eines Fotos von schlechter Qualität zwar nicht als denjenigen wiedererkennen, der in der Kölner Probsteigasse die Bombe deponiert hatte. Aber die Präsidentin der Behörde, für die J. H. gearbeitet hatte, erkannte die Ähnlichkeiten mit ihren V-Mann auf dem Phantombild und meldete dies in verschiedenen Berichten. Anscheinend wurde J. H. trotzdem weder Befragungen noch Ermittlungen ausgesetzt, die Präsidentin ging vier Wochen später vorzeitig in den Ruhestand. Aktiv bleiben aber J. H. und sein Anwalt: Alle, die seinen Namen oder Spitznamen nennen, die zuvor stolz in Nazipostillen prangten, bekommen schnell eine Abmahnung. So auch ein jW-Leser, der unseren Beitrag vom vergangenen Wochenende an dieser Stelle über Twitter zur Kenntnis nahm. Im Tweet teilte die junge Welt mit: »Gericht zwingt uns, Namen identifizierter Nazis und V-Leuten zu verschweigen«. Der Leser tweetete zurück: »Den Rechtsanwalt ›R. H.‹ könntet ihr aber ruhig beim Namen nennen: Ralf Hoecker.« Und weil er mit einem Link darauf hinwies, dass welt.de das ja auch macht, erhielt er Post vom J.-H.-Anwalt mit einer Abmahnung, in der Unterlassung, Schadensersatzanspruch und Geldentschädigung verlangt wird. Weil im verlinkten Welt-Beitrag nicht nur der Name des Anwalts, sondern auch der von J. H. noch ausgeschrieben wurde.

Hinweis

Auch Schwester und Vater des Opfers stellten mittlerweile eine »erschreckende Ähnlichkeit« zwischen einem anderen, weniger verschwommenen Foto des J.H. und dem Täter fest. Der Anwalt von J.H. legt Wert auf die Feststellung, dass dieses Foto zu einem deutlich späteren Zeitpunkt gemacht wurde. Ein Nazikamerad des J.H. bestätigt in einem ZDF-Interview eine Ähnlichkeit zwischen J.H. und dem Phantombild des Täters.

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