Besonders tragfähig
Im April 1995, also vor 20 Jahren, wurde die Tageszeitung junge Welt vom damaligen Eigentümer aufgegeben, die Produktion eingestellt. Betriebsrat und Belegschaft erfuhren davon über das Radio auf dem Weg zur Arbeit. Da es dann aber eine marxistische, klassenbewusste Tageszeitung in diesem Land nicht mehr gegeben hätte, schmiedeten einige Unentwegte ein Fortführungskonzept, wie man diese dringend benötigte Zeitung weiter herausgeben könnte. Da musste nicht nur rasch der Verlag 8. Mai GmbH gegründet, ein Redaktions- und Verlagsteam aufgestellt, das inhaltliche Profil geschärft, ein erfolgreiches Marketingkonzept entwickelt werden: Viele zusätzliche Schwierigkeiten waren aus dem Weg zu räumen, etwa was die Titel-, Gestaltungs- und Belieferungsrechte betrifft. Und obwohl die formalen Voraussetzungen gar nicht erfüllt waren, konnte ein gewitzter Kollege vom damaligen Postzeitungsvertriebsamt eine Vertriebsnummer ergattern, ohne die kein Abonnent beliefert worden wäre. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Die klare Belegschaftsmehrheit stimmte in einer Betriebsversammlung gegen das vorgelegte Fortführungskonzept – und zwar aus guten Gründen. Es schien der pure Wahnsinn zu glauben, man hätte ohne entsprechende finanzielle Unterstützung nur den Hauch einer Chance, eine Tageszeitung zu betreiben. Vor allem weil oberste Priorität war, dass die Unabhängigkeit der Zeitung gewahrt werden sollte. Und der Finanzchef der PDS (wie die Linkspartei damals hieß) stellte noch nicht einmal den beantragten bescheidenen Startkredit zur Verfügung. Aber ohne Kapital, Immobilien oder andere entsprechende Sicherheiten stellen auch Banken keine Mittel zur Verfügung. Unter solch ungünstigen Vorzeichen war es auch fraglich, ob Nachrichtenagenturen, die Druckerei oder die Vertriebsfirmen ohne Vorkasse arbeiten würden.
Zwar konnten dann kurzfristig Lösungen erkämpft werden – trotzdem war allen rasch bewusst, dass es ohne eine Genossenschaft im Hintergrund nicht möglich sein würde, sich in Ruhe vor allem um die journalistische und verlegerische Arbeit zu kümmern. Deshalb wurde zeitgleich mit der Idee, eine Verlagsgesellschaft zu gründen, auch über eine Genossenschaft gesprochen. Aber während der Verlag 8. Mai GmbH i. G. schon im April 1995 handlungsfähig war, brauchte es bis zur Bildung der Genossenschaft LPG junge Welt eG noch Monate. Die Gründung fand dann – sicher nicht zufällig - am 7. Oktober 1995 statt. Zwar waren damit die zahlreichen formalen Bedingungen erfüllt, Kapital stand bei gerade mal sieben Gründungsmitgliedern allerdings noch lange nicht zur Verfügung. Neben dem Kampf um den Erhalt der Tageszeitung bei klarem Kurs und Profil und der Gewinnung der überlebensnotwendigen Abonnements mussten also auch Genossinnen und Genossen gefunden werden, die Anteile für die Genossenschaft zeichneten. Erst als ausreichend Kapital zur Verfügung stand, konnte die LPG junge Welt eG im Frühjahr 1998 die Mehrheit am Verlag 8. Mai GmbH übernehmen. Und mittlerweile kämpfen wir darum, möglichst bald das zweitausendste Mitglied aufzunehmen.
Das Konzept hat sich als besonders tragfähig erwiesen, finanziell wie politisch. In all den Jahren konnten mit Mitteln der Genossenschaft die Liquidität des Verlages abgesichert werden, größere Projekte werden mit Krediten der Genossenschaft finanziert. Rangrücktritte und Verzichtserklärungen bewahrten den Verlag vor einer faktischen Überschuldung. Die Genossenschaft war im Zweifelsfall aber auch Regulativ, wenn etwa versucht wurde, auf politische Prozesse in der Redaktion mit unlauteren Mitteln Einfluss zu nehmen. Und die Satzungskonstruktion verhindert, dass Versuche, solchen Einfluss über die Genossenschaft selbst zu nehmen, Erfolg haben können. Die Genossenschaft hat also nicht nur geholfen, die Ökonomie der jungen Welt abzusichern, sie ist auch dafür verantwortlich, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verlag und Redaktion ihre Hauptkraft in die kreative Umsetzung der Tagesarbeit setzen konnten. Trotz alledem muss unterstrichen werden, dass die wichtigste ökonomische Absicherung der Tageszeitung junge Welt in einer hohen Zahl bezahlter Print- und Onlineabonnements liegt. Denn über Abonnements müssen die regulären Kosten weitgehend abgedeckt werden. Die Genossenschaft ist sozusagen das Sicherheitspolster und sorgt dafür, dass die junge Welt nicht von Banken oder anderen Geldgeber abhängig ist.
In 20 Jahren junge Welt und 20 Jahren Genossenschaft LPG junge Welt eG konnten wir so einiges dazu beitragen, dass sich eine eigene linke politische Kultur in diesem Lande entwickelt und stark erhält. Und weil das ein Grund zum Feiern ist, laden wir Genossinnen und Genossen, Freunde und Unterstützer, Leserinnen und Leser am 7. Oktober 2015 zu einem kleinen Empfang in die Ladengalerie der jungen Welt in der Berliner Torstraße ein. Wir freuen uns auch weiterhin über jedes Abonnement und über jeden Genossenschaftsanteil.
Verlag/Redaktion/Genossenschaft
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 26.07.2014
Investitionen in die Zukunft
- 01.07.2013
jW-Genossenschaft mit Rekordergebnis
- 19.01.2013
Etappensieg