»Es sind nur Worte«. Drastik-Lesung mit Charlotte Roche
Von Anne-Lydia MühleMein Mann liebt meine großen Brüste, aber die werden immer größer und schwerer.« Chrissi, Titelheldin in Charlotte Roches neuem Roman »Mädchen für alles«, hadert mit ihren »an Brust und Bauch ausgebeulten Jacken«. An allen möglichen Körperstellen »geht der Reißverschluss schlecht zu«, stammelt sie, »und dann fluppt’s aber die paar Zentimeter zwischen Brust und Hals«. Die literarische Figur habe »gehörig einen an der Marmel«, konstatierte Roche am Mittwoch bei einer Lesung in der Berliner Arena.
Vor Jahren haben Chrissi und ihr Mann in diesem Buch über eine gescheiterte Ehe – und unanständigen, dafür lebensechten Sex natürlich – die Abmachung getroffen, dass Sport schlecht ist. Deswegen geht Chrissi jetzt heimlich zum Sport. Die gewonnenen Muskeln verbirgt sie erfolgreich unter ihren Speckrollen. Im übrigen ist sie eine schlechte Mutter. »Sie kotzt über ihr Kind immer nur ab«, sagte Roche bei der Lesung: »Das ist lustig gemeint und soll befreiend sein, auch für Mütter.« Es ist wohl tatsächlich ein Tabuthema, dass einem Elisa oder Jeremy auch mal auf die Nerven gehen. Jedenfalls im schönen, fortschrittlichen Prenzlauer Berg, wo die Mütter sich förmlich dabei überschlagen, mit Yoga und Biobrötchen das fünfsprachige Superkind heranzuzüchten.
In Wirklichkeit sind Kinder anstrengend, sagt Roche. Man muss nachts aufstehen und stillen »und dieser ganze Wahnsinn«. Sie bittet darum, den Roman mit Humor zu nehmen: »Wenn man das zu düster liest, kriegt man davon richtig schlechte Laune, und so ist das Buch nicht gemeint.« Sie habe versucht, etwas Lustiges über heftige Themen zu schreiben.
Das war schon ihr Ansatz bei den Büchern davor, »Feuchtgebiete« und »Schoßgebete«. Bei Roche dreht sich fast alles um Frauen, die einen an der Waffel haben und dazu stehen. Und weil in Deutschland absolut kein Mangel herrscht an Tabuthemen und »besorgten Bürgern«, die, ihrem Selbstverständnis nach, an Normalität nicht zu übertreffen sind, ist das recht erfrischend. Wie schön, wenn jemand über Grenzen geht und seien es die des guten Geschmacks.
»Ich hab’s mit Wunden«, meinte Roche in der Arena offenherzig. Sie beschreibt diese mitunter so manisch-genau, dass Zuhörer auf Lesungen schon mal in Ohnmacht gefallen sind. Die Hauptfigur in »Feuchtgebiete« beispielsweise öffnet, um nach einer Analoperation weiter im Krankenhaus bleiben zu können, die leidlich verheilte Wunde mit der Feststellbremse ihres Bettes. »Es sind nur Worte«, sagte Roche. »Man beschreibt detailliert etwas, das dem Menschen richtig weh tut.« Hin und wieder könnten Zuhörer sich das dermaßen gut vorstellen, dass es zu viel für ihre Nerven werde.
Mit Ohnmachtsanfällen hat die Autorin schon bei ihren ersten Lesungen Erfahrungen sammeln können: Sie trug da Auszüge aus »einer echte Doktorarbeit« vor: »Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern«. Im Prinzip könne man jeden Staubsauger gefahrlos zum Masturbieren benutzen. Außer den von Vorwerk, der den Propeller direkt hinter dem Einsteckloch hat. In der Doktorarbeit ist en detail beschrieben, »wie sich die Vorhaut und das Penisbändchen um den Rotor verheddert«, erinnerte sich Roche mit einem Lächeln: »Die ganze Eichel war zerfetzt und hing da wie eine aufgeplatzte Brühwurst.«
Leute, die in Ohnmacht fallen, rutschen nicht einfach leise vom Stuhl und stören die anderen nicht, erklärte Roche noch. Das ähnele eher einem kleinen epileptischen Anfall. »Ganz viele haben so gezuckt und waren ganz laut.« Sie habe selbst öfter mit angefasst und die Person »an den Armen rausgeschleift«. Man kann also beruhigt sein. Im Zweifel wird man bei der Lesung von der Autorin selbst gerettet.
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