Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 11.01.2016, Seite 11 / Feuilleton

Konsum, Aggression und Ulkigkeit

Von Wiglaf Droste

Wenn der moderne Mensch anderthalb oder zwei Tage lang nicht eingekauft hat, wird er schier wahnsinnig. Außer Einkaufen hat er nichts gelernt, es ist für ihn keine Pflicht, derer man sich möglichst flink oder gut gelaunt spielerisch entledigt, sondern einziger Sinnstifter und Daseinszweck. Mit stierem Tunnelblick und verbissenem »ICH ICH ICH muss noch ...!« in jeder Silbe seiner Körpersprache rammt er anderen seinen Einkaufskorb in Hacken und Beine. Greise, denen das Resthirn in der Gelenkpfanne verrückt wird, krallen sich an Gitterwagen, als wären es Rollatoren, und den meisten Einkaufsexistenzen steht der Mund sperrangelweit offen von einer ausgeleierten und doch nie zu befriedigenden Gier.

Ihr zwanghafter Konsum ist ein Akt der Aggression; Einkaufen ist Krieg, und das Schöne daran ist für die Teilnehmer: Es ist ganz demokratisch, Menschen aller Altersgruppen, jederlei Geschlechts und sexueller Orientierung können es tun; einziges Ausschlusskriterium ist der Mangel an Geld. Doch wozu gibt es Ratenzahlungen und Kredite? Wer da leer ausgeht, dem bleibt immer noch der Ausweg in offenere Formen der Kriminalität wie Diebstahl oder Mord aus Habgier auf geile Elektronik und Sichselbstwegsperrung durch Luxuskreuzfahrten oder Aufenthalte in bewachten »Ressorts«. Es ist wie auf dem Rummel: »Jetzt wieder einsteigen und mit dabeisein, schöne Fahrt, gute Fahrt ...« Wer nicht die Fäuste oder die Waffen sprechen lässt, tobt sich zu Hause am Rechner aus, wo er »multissimo agitato« und ano-, pseudo- oder kryptonym die denkfaule, aber aufgepeitschte wilde Sau rauslassen und sich mit anderen Unfreien und Gleichgemachten zu einem Shitstorm vereinigen kann; früher war in solchen Fällen von »Volkszorn« die Rede, je organisierter desto Kristallnacht.

Das fremd- und ferngesteuerte Grapschen von allem, das man nur ergattern kann, trägt aber auch ulkige Züge; wenn der Sabber im Kopf durch die Augen austritt und die Visagenzüge des Konsumenten sich ins ausgehöhlte Debile verjüngen, sieht das mitunter so monströs unfreiwillig komisch wie freiwillig verblödet aus, dass es anderen ein nachsichtiges Lächeln entlocken kann, eine Art Achselzucken der Mundwinkel. (Merke: Eine Visage ist bei einem Zwangskaufenden an die Stelle dessen getreten, was einmal ein menschliches oder doch wenigstens menschenähnliches Antlitz war.)

Wünscht man aber die Verwesung einer Spezies am lebendigen Leib ihrer Mitglieder zu belächeln? Was bleibt einem übrig? »Lieber Schwänze lutschen als Trübsal blasen«, pflegte eine alte, lebenserfahrene Freundin zu sagen, und obwohl ich diesbezüglich nicht aus eigener Erfahrung mitreden kann, will ich gern glauben, dass sie nicht irrte.

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