Trauer, Stuss und Überdruss
Von Wiglaf DrosteHigh sein, frei sein, Terror muss dabei sein«, quakelten wir vor knapp 40 Jahren als Halbwüchsige, kamen uns bei den ersten Joints enorm verwegen, ja geradezu kriminell und gefährlich vor, ließen uns die Haare wachsen (»Matte bis zum Arsch« hieß das), tanzten wie die Wilden zu Jethro Tull, Santana, den Stones, Led Zeppelin und allem, was fetzte, und wenn auf Steckbriefen von RAF und 2. Juni wieder eine polizeilich Erschossene oder ein Erschossener mit dem Kuli oder dem Filzer durchgekreuzt wurde beim Bäcker oder beim Fleischer, wussten wir, auf welcher Seite wir nicht standen: auf der jener Landsleute, die jeden Toten aus dem Untergrund als persönliche Rekordleistung feierten und von »inneren Reichsparteitagen« schwärmten, obwohl sie außer mitlaufen, Bild einpfeifen und TV glotzen nichts auf der Pfanne hatten. Zuleide getan hat niemand von uns irgend jemandem irgend etwas, unser bisschen Sympathisantentum war ein Reflex gegen den Staat, nicht für Mord und Blutbäder.
Die Zeiten haben sich fundamental und fundamentalistisch geändert, die Welt ist in potenzierter Form dem Irrsinn anheimgefallen, gepredigt wird Hass, der mit Hass erwidert wird, Vernunft und Mitgefühl verschwinden, lösen sich auf wie in aggressiver Säure, jeder Mord wird mit vorhergegangenem Mord begründet und legitimiert, es ist atavistisch wie zu Zeiten der Blutrache, die Menschheit eilt in eine digitalisierte, hochtechnisierte Steinzeit zurück.
Mordanschläge wie die in Brüssel damit zu rechtfertigen, dass »die anderen ja angefangen« hätten und »noch viel Schlimmeres« anrichteten, ist billigste, schäbigste Wühltischmoral, gegen die Abstumpfungskaspereien wie das »Dschungelcamp« wenigstens vergleichsweise harmlos wirken, obwohl auch sie Gift absondern, das Gift des Allesscheißegal.
Ich will kein dschihadistisches Gehetze hören und keine Hetze gegen Flüchtlinge mehr erdulden; Partei ergreifen kann man nur für Mitgefühl und Vernunft. Wer hat sie aus der Welt geschafft und vertrieben, oder waren sie niemals da und immer nur eine Idee? Es gibt Beispiele, die belegen, dass Empathie und der Mut zur Friedfertigkeit keine leeren Worte sind. Etwas anderes fällt mir nicht ein gegen eine Welt aus Stumpfsinn, Dummheit, Hass und Krieg. Das will ich nie wieder – und jetzt die Waffen nieder!
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