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Der Karin-Kramer-Preis

Wirtschaft als das Leben selbst
Von Helmut Höge

Am Sonntag, dem zweiten Todestag der Verlegerin Karin Kramer, wurde in Berlin der erste Preis mit ihrem Namen vergeben. Das Wirken des Neuköllner Anar­chistenehepaars Karin und Bernd Kramer, die 2014 kurz nacheinander verstarben, soll unauslöschlich zur Geschichte der BRD oder wenigstens Westberlins gehören. Darum vergeben die Tempelhofer »Bauphilosophen« (schwarze Bohrmaschine auf rotem Stern) zusammen mit Hermann Jan Ooster, der als Steinmetz die Grabplatte für die beiden Kramers schuf und in seinem Verlag Quequec ein »Kleines Lexikon der Bauphilosophie« (jW vom 11.2.2016) veröffentlichte, künftig alle zwei Jahre den »Karin-Kramer-Preis für widerständige Literatur«.

Der Anarchodichter Bert Papenfuß wurde am Sonntag als erster damit geehrt. Neben einer Urkunde bekam er in der Neuköllner Kneipe »Alter Roter Löwe Rein« 1.000 Euro und eine Laudatio des Charlottenburger Schriftstellers Thomas Kapielski. Sowieso waren alle sich darüber einig, dass Papenfuß, Erfinder der mobilen »Kulturspelunke Rumbalotte«, den Preis verdient hat. Ein bisschen ist es so, dass sich die dissidente Punkszene im Prenzlauer Berg um ihn schart – und das nicht erst seit gestern. Den Zusammenhalt stärken nicht zuletzt Kulturzeitschriften, die laufend neu gegründete oder umbenannt werden: Sklaven, Gegner, TorTour, Abwärts usw. Als die taz Papenfuß in einem Interview mal überflüssigerweise fragte: »Warum sind Sie immer noch im Prenzlauer Berg?«, antwortete er: »Ich bin ja kaum noch hier! Ich wohne schon seit zwei Jahren in Weißensee.« Aber der Prenzlauer Berg sei noch nützlich: »Er garantiert mir das Maß an Unzufriedenheit, das ich brauche. Außerdem muss es eine Kneipe für den renitenten Rest geben, der hier noch wohnt.«

Zur Zeit residiert die Rumbalotte, die als Verein betrieben wird, in einer ehemaligen Weißbierbrauerei in Pankow gleich hinter der Grenze zum Ortsteil Prenzlauer Berg. Der Veranstaltungsraum hat 1990er-Punkfabrik-Flair. Flankiert wird er von Lyrikbänden, alle von Papenfuß »Rumbalotte continua« betitelt, erschienen im Karin-Kramer-Verlag (2005 und 2007) oder ähnlich klammen Kleinverlagen, die nicht nach Themenkonjunkturen schielen, oder wenn doch, sich dabei kostspielig irren, was den Kramers gelegentlich passiert ist.

Aber so, wie der Merve-Verlag das übersetzte und druckte, was der Suhrkamp-Verlag von »den Franzosen« übrigließ, hatte auch der Anarchoverlag Kramer einen Me-too-Ableger: den »Impuls-Verlag« von Anarcho-Jimmy in Bremen, der ebenfalls alles zwischen Kropotkin und Bakunin, Wilhelm Reich und Jim Morrison wegdruckte. Man muss allerdings sagen, die toten Anarchos ernährten die lebenden eher schlecht als recht. Das gilt auch für die klassischen Werke der Arbeiterbewegung. Gerade neulich sagte mir ein Antiquar: »Mensch, die Gesamtausgaben von Marx und Engels, Lenin und Stalin liegen bei mir schon seit gut 20 Jahren wie Blei im Regal.«

Die 16 Bände der anarchistisch-erkenntniskritischen Zeitschrift Unter dem Pflaster liegt der Strand, die der Heidelberger Ethnologe Hans Peter Duerr im Kramer-Verlag herausgab, bewegen sich dagegen noch ein biss­chen in den Regalen, besonders ein Sonderband von 1982 über die Indianerforschung des Ethnologen Werner Müller.

Zu den letzten Publikationen des Kramer-Verlags zählt das »Schwarzbuch Kreuzberg« über Bernd Kramers Stammkneipe »Zum Goldenen Hahn« am Heinrichplatz. Kapielski und er mühten sich lange um die Aufnahme des »Hahns« in die Liste der UNESCO-Kulturdenkmäler – mit dem Hintergedanken, dass die Bierpreise dann auf ewig so bleiben müssten.

Es gab nach dem Tod der Kramers mehrere Anläufe, ihr Erbe – neben Bergen von Büchern und Druckereirechnungen eine hochanständige Backlist – zu hegen und zu pflegen. Auch Quequec-Verleger Hermann bemühte sich eine Weile um die »Übernahme«. Die letzten Eintragungen auf der Internetseite des Kramer-Verlags sind von Dezember 2015. Und auf der Internetseite der Rumbalotte, die schon ein halbes Jahr in Pankow ist, wird noch ihre Prenzlauer-Berg Adresse angegeben. Kein Wunder, dass Papenfuß den Kramer-Verlag als seinen »Lieblingsverlag« bezeichnete. Im Grunde war das Preisgeld auch nur eine extrem entschleunigte Honorarüberweisung.

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