Der Bachelor soll in Therapie
Von Ralf WurzbacherPolitik und Hochschulen wollen angeblich einen neuen Versuch unternehmen, bei der Bologna-Studienstrukturreform nachzubessern. in einem gemeinsamen Positionspapier der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) wird für mehr Freiräume in der Studiengestaltung plädiert, für weniger Detailregelungen und Leistungsdruck. Veränderungsbedarf sehen die Verantwortlichen vor allem beim Bachelor-Studium, das im Ruf steht, hochgradig verschult und akademisch anspruchslos zu sein. Außerdem will man gegen »unterschiedliche Notenkulturen« vorgehen, damit es beim Übergang zum Master gerechter zugeht.
Das fragliche Konzept wurde bisher nicht veröffentlicht, über die Inhalte hatten in der Vorwoche allein die Süddeutsche Zeitung (SZ) und der Deutschlandfunk (DLF) berichtet. Wie es bei der SZ hieß, wollten die KMK-Amtschefs die Vorlage am vergangenen Donnerstag »endgültig beschließen und dann die Ideen präsentieren«. Auf eine offizielle Stellungnahme wartet man seither allerdings vergebens. Das ärgert Andreas Keller, Vizechef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Wie er am Montag gegenüber junge Welt sagte, hätten Bund und Länder eigens eine Bologna-Arbeitsgruppe eingerichtet, in der auch Interessengruppen wie die GEW vertreten seien. »Offensichtlich wurde das Papier an der Bologna-AG vorbei entwickelt«.
»Es geht um akademische Bildung, wir wollen keine Roboter produzieren«, zitierte die SZ den Rektor der Universität Siegen, Holger Burckhart. Dazu gehöre, »eine weitere Verdichtung und Vereinheitlichung des Studiums zu vermeiden« und »eher einen Abbau von Regelungen im Bachelor« hinzubekommen. »Nicht jede Anwesenheitsminute darf mit einem Leistungspunkt versehen sein.« Seit Beginn des sogenannten Bologna-Prozesses mit dem Ziel einer Angleichung der europäischen Hochschulsysteme um die Jahrtausendwende war es wiederholt zu Protesten wegen des als »Schmalspurstudiengang« verschrienen Bachelor gekommen. Die Absolventen sind auf dem Arbeitsmarkt wenig gefragt und werden deutlich schlechter bezahlt als die Konkurrenz mit Diplom-, Magister- und Master-Abschluss.
Wie die SZ unter Berufung auf das Papier schrieb, soll es in Zukunft möglich sein, in den ersten beiden Semestern ohne Noten zu studieren, nur mit »bestanden« oder »nicht bestanden«. Wegen der »Inflation an Bestnoten« wolle man künftig außerdem Zensuren im Studienverlauf ausweisen.
Ein Rechtsanspruch auf einen Master-Platz, wie ihn GEW-Hochschulexperte Keller fordert, schwebt den Verantwortlichen aber wohl nicht vor. Heutzutage wollen zwei Drittel der Bachelor-Absolventen mit einem Master-Studium weitermachen, scheitern aber häufig an den hohen Zugangshürden.
Ziel der Rektoren ist laut SZ ferner das »Studieren mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten«, statt nach sechs solle man auch erst nach sieben oder mehr Semestern abschließen können. Im DLF-Interview spricht sich Burckhart für größere Auswahlmöglichkeiten bei den Studieninhalten in den ersten beiden Semestern aus, die Spezialisierung soll demnach erst nach dieser Orientierungsphase einsetzen. Ferner wolle man Studierenden »bis zu zehn Prozent des Studiums« an Freiraum »für interdisziplinäre Studien oder für ethische Reflexion oder für gesellschaftliche Reflexion« zugestehen, so Burckhart.
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