Hintergrund: Warten auf Revisionsgründe
Auf 3.025 Seiten hat das Oberlandesgericht München sein Urteil im NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe, André Eminger, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach und Carsten S. im April den Verfahrensbeteiligten schriftlich vorgelegt. Die Bundesanwaltschaft kann sich mit ihrer Revisionsbegründung noch bis zum 12. Juni Zeit lassen, da sie das Dokument vom OLG zunächst nicht vollständig erhalten hatte und Seiten nachgereicht werden mussten. Im Normalfall beträgt die Frist einen Monat – die Verteidiger von Zschäpe, Eminger, Wohlleben und Gerlach mussten ihre Gründe bereits darlegen. Zschäpe ist als einzige wegen Mittäterschaft bei zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und mehreren Raubüberfällen zu lebenslanger Haft verurteilt – zudem wurde bei ihr eine besondere Schwere der Schuld festgestellt.
Anders als Zschäpe waren die vier Männer nie der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) angeklagt, sondern lediglich als Helfer und Unterstützer. Bis auf Eminger, der keine Aussage machte, gaben sie alle an, nicht in Pläne zu den überwiegend rassistisch motivierten Morden an Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter eingeweiht worden zu sein.
Der Mitangeklagte S. hat als einziger den Urteilsspruch vom 11. Juli 2018 akzeptiert. Da er zum Tatzeitpunkt um die Jahrtausendwende noch heranwachsend war und ein Gutachter eine Reifeverzögerung für plausibel hielt, verurteilte das Gericht den Neonaziaussteiger und Enddreißiger wegen Beihilfe zum neunfachen Mord zu einer Jugendstrafe von drei Jahren Haft. Der fünf Jahre ältere Ralf Wohlleben, der S. bei der Beschaffung der Tatwaffe instruiert hatte, wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, kam aber eine Woche später auf Bewährung frei, nachdem er sechs Jahre und acht Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte. Holger Gerlach erhielt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren.
Außer Zschäpe und Wohlleben waren alle Angeklagten die meiste Zeit während der gut fünfjährigen Hauptverhandlung »auf freiem Fuß«. Eminger wurde zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, konnte aber nach Anrechnung von zwei kürzeren Phasen U-Haft den Gerichtssaal unter Applaus seiner »Kameraden« als freier Mann verlassen. Wie für Wohlleben hatte die Bundesanwaltschaft auch für Eminger zwölf Jahre Haft gefordert – wegen langjähriger Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum versuchten Mord. In seinem Fall gehen daher auch die Ankläger in Revision. (jW)
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