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Aus: Ausgabe vom 18.06.2020, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Vorsicht, heiß

Von Frank Willmann

Ich weiß nicht, was ihr die ganze Zeit so treibt, aber für mich stellen im Coronajahr die 592 Seiten von Benjamin Quaderers »Für immer die Alpen« kein Leseproblem dar. Und glaubt mir, es ist nicht so übel, was der Dichter mit dem Aussehen eines Bohrmaschinenvertreters über die Streiche der Liechtensteiner aufgeschrieben hat. Denn Quaderer hat Witz und Erfindungsreichtum.

Unsereiner kennt das irgendwie überflüssige Fürstentum Liechtenstein nur für Steuerbetrug und aus der Philatelie. Ganz dunkel erinnern wir uns an die nuller Jahre, als dieser kosmische Pinselfürst das deutsche Steuersystem als das unfairste auf der ganzen Welt schalt, weil es reichen Menschen angeblich nicht die Möglichkeit gab, auf Kosten der Allgemeinheit noch reicher zu werden (er mag wohl keine Steuerberater). Sich selbst bastelte er ein höchst schlüpfriges Bankensystem zusammen, das schon alsbald die ausländische Hochfinanz anzog wie die Motte das Licht. Leider, leider hatte die Obermotte vergessen, dass es hässliche Berufe wie den des Motten­kugelherstellers gibt.

Gut, ich will euch nicht länger mir Steuerscheiß langweilen, jedenfalls ging der Pipifürst baden, und einigen fiesen Steuerbetrügern wurde da und dort die eiserne Jungfrau angelegt. Eine Geschichte, die ihrer literarischen Aufarbeitung harrte. Da fand sich mit Quaderer ein einheimischer Jungdichter (Jahrgang 1989), der mit Puppendoktorbrille, Rotzbremse und Basecap bewaffnet dem ganzen Geraffel auf den Grund ging, soll heißen, in Eulenspiegelmanier einen traurigen Verlierer nebst herzzerreißender Loser-Story schuf. Eine ganz heiße Buchstabensuppe.

Der Roman um den Herrn Johann Kaiser, je nach Ansicht ein Whistleblower, mieser Betrüger, Kleinstaatsfeind oder Robin Hood der deutschen Finanzämter, liest sich größtenteils fetzig weg, auch wenn der Autor uns mitunter ordentlich einseift und mit eingeschobenen literarischen Experimenten und anderen doofen Mätzchen (Metaebenen, parallel gesetzte Erzählstränge, halbeitle Fußnoten) unnötig nervt. Wundervoll sind seine zwei Anspielungen auf unser aller Gott Roberto Bolaño, was aber nur Insider merken.

Vergleiche mit dem chilenischen Großmeister unterlassen wir dennoch tunlichst, das wäre zu hochgegriffen. Quaderer hat mit »Für immer die Alpen« ein mehr als anständiges Debüt hingelegt. Ob es allerdings die kolportierten 100.000 Euro Vorschuss wert ist, weht im Wind, mein Freund.

Benjamin Quaderer: Für immer die Alpen. Luchterhand-Verlag, München 2020, 592 Seiten, 22 Euro

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