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Aus: 50 Jahre Radikalenerlass, Beilage der jW vom 16.02.2022
50 Jahre »Radikalenerlass«

Linke unter Ausnahmerecht

Die Geschichte der Bundesrepublik ist wesentlich auch eine des staatlichen Kampfes gegen die radikale und progressive Linke
Von Nico Popp
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Teilnehmer einer Demonstration gegen die Berufsverbote in Hannover (7.10.1978)

Was die Ministerpräsidenten am 28. Januar 1972 zusammen mit Bundeskanzler Willy Brandt beschlossen und danach in den einzelnen Bundesländern ins Werk gesetzt haben, hat eine Vorgeschichte, die so alt ist wie die Bundesrepublik. Dieser Staat wurde 1949 als antikommunistischer Separatstaat ins Leben gerufen; für seinen Apparat wurde auf allen Ebenen bis hinauf in die Bundesministerien überwiegend konservatives und faschistisches Personal rekrutiert, für das die neuere zeitgeschichtliche Publizistik sich auf die Qualifizierung »NS-belastet« verständigt hat.

Kommunisten standen hier indirekt immer unter Sonder- und Vorbehaltsrecht. Oft genug auch direkt: Das niemals aufgehobene Verbot der Kommunistischen Partei 1956 ist in der Geschichte »liberaler Rechtsstaaten« nach 1945 ein Unikat geblieben. Und mit einem heute fast vergessenen Erlass hatte die Bundesregierung im September 1950 schon einmal eine »Säuberung« des öffentlichen Dienstes von Kommunisten und Antifaschisten angestoßen: Damals, bevor Linke an den Hochschulen ein Faktor wurden, traf das noch kaum Beamte bzw. Angehörige akademischer Berufe, aber viele Mitglieder von KPD, FDJ oder VVN, die als Angestellte oder Arbeiter bei Ländern und Gemeinden beschäftigt waren – ihnen wurde in einer grotesken Umkehrung der geschichtlichen Fronten attestiert, wegen ihrer Betätigung »gegen die demokratische Ordnung« im öffentlichen Dienst nicht tragbar zu sein.

1972 wurde dieser Sortiermechanismus frisch geölt und zielte nun vor allem auf die Ebene der Beamten. Im Bundes- und Landesdienst sollte als Bewerber keine Berücksichtigung mehr finden, wer »verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt« hatte bzw. als Mitglied einer »verfassungsfeindlichen« Organisation aktenkundig war. War jemand Beamter und fiel in diese Kategorie, dann hatte der Dienstherr zu prüfen, »ob die Entfernung des Beamten aus dem Dienst anzustreben ist«. Die Definitionsmacht darüber, was als »verfassungsfeindlich« – ein um 1930 von ultrarechten Juristen etablierter Begriff – zu gelten hatte, lag beim Inlandsgeheimdienst. Der lieferte im Zusammenhang mit den »Regelanfragen« entweder belastendes Material oder winkte den jeweiligen Bewerber als politisch tragbar durch – etwa 3,5 Millionen Überprüfungen waren es bundesweit bis 1991. Wie schon 1950 wurde auch 1972 darauf geachtet, dass sich der grundlegende Verordnungstext im Sinne der Extremismusideologie korrekt gleichermaßen gegen »rechts- und linksradikale Personen« richtete.

Dass dem »Radikalenerlass« nahezu ausschließlich Linke zum Opfer fielen, war intendiert und durch die Einschaltung von »Verfassungsschutz« und Justiz auch sichergestellt. Innenpolitisch erfüllte er eine doppelte Funktion. Er signalisierte der CDU/CSU (und Washington), dass die äußere Entspannungspolitik gegenüber »dem Osten« nicht von einer inneren »Liberalisierung« begleitet werden würde – einziges Zugeständnis sollte die Wiederzulassung einer ansonsten nach Kräften eingehegten kommunistischen Partei bleiben. Und er machte dem in Teilen nach links politisierten Nachwuchs an den Universitäten unmissverständlich klar, dass man mit Kritik und einer abweichenden Meinung auch über Bord gehen kann.

Konservative Politologen und Historiker weisen den Begriff »Berufsverbot« bis heute zurück. Erfolg hatten sie damit auch dank der engagierten Arbeit vieler Betroffener nicht. Die neuere Geschichte der Bundesrepublik kennt indes eine Praxis von Berufsverboten, deren Ausmaß – insbesondere auch der Überprüfungsaktivität – im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Bekanntheit steht: jene in Ostdeutschland nach 1990. Hier gibt es noch viel zu erforschen – auch dazu will diese Beilage von junge Welt anregen.

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