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Aus: Ausgabe vom 21.06.2024, Seite 1 / Titel
Migrationspolitik

Grenzenlos abschieben

Ampelkoalition heuchelt zum Weltflüchtlingstag – und hetzt gegen Muslime. Regierung prüft Asylverfahren in Drittstaaten und will mehr Abschiebungen
Von Annuschka Eckhardt
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Amtlich abgestempelt: Deutsche Bürokratie exekutiert Deportationspläne der BRD-Regierung

Sie harren durstend in Zeltlagern, ertrinken bei Schlauchbootfahrten im Mittelmeer oder werden von Grenzpolizisten an der sogenannten EU-Außengrenze misshandelt: Die Zahl der Menschen, die weltweit wegen Verfolgung, Konflikten und Krieg fliehen müssen, war noch nie so hoch wie heute. Allein im vergangenen Jahr waren mindestens 27,2 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen.

Am Donnerstag hat die Bundesregierung den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen begangen – angesichts rassistischer Rhetorik samt Abschiebewut ist das: heuchlerisch. Nicht nur das, die Ampel verdreht das Gedenken revisionistisch und fokussiert auf das Schicksal der »vertriebenen« Deutschen. »Seit den andauernden Protesten gegen rechts präsentiert sich die Bundesregierung als Brandmauer gegen rechts und Verteidigerin der Menschenrechte«, sagte Maria Sonnek, Sprecherin der »Seebrücke«, am Donnerstag gegenüber jW. Doch die Realität sehe anders aus: Während auf der einen Seite sinnentleerte Worte über den Wert der Demokratie und die Gefahr von rechts gesprochen würden, »werden auf der anderen Seite rassistische und diskriminierende Maßnahmen am fließenden Band umgesetzt«, so Sonnek weiter.

Grenzenlos abschieben, so lautet offenbar das Ampelmotto. Denn bei der Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), die am Donnerstag begann, standen Asylverfahren in Drittstaaten und die Bezahlkarte für Asylsuchende im Mittelpunkt. Hauptfeind der Deportationswütenden sind dabei Muslime. Sie werden als »Messermänner« und »Judenhasser« diffamiert. Stigmata, um etwa unter dem Deckmantel, »jüdisches Leben« in der BRD zu schützen, abzuschieben. Dazu passt: »Wir haben zahlreiche Fälle von öffentlichen Debatten festgestellt, die die Bedrohung einer sogenannten Islamisierung der europäischen Gesellschaften zu rein wahltaktischen Zwecken nutzt«, sagte der Vorsitzende der Rassismus-Kommission des Europarats, Bertil Cottier, anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichts am Donnerstag.

»Abschieben im großen Stil«, hatte Scholz bereits Ende Oktober medienwirksam verkündet. Ferner werden Asylverfahren in sogenannten Drittstaaten, etwa Albanien oder Ruanda, momentan geprüft. Von Januar bis April 2024 wurden 6.316 Menschen abgeschoben. Das sind 30 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (4.792). Ampel und Union reicht das nicht. Deportationen in Kriegs- und Krisen­gebiete gelten als Optionen.

Dafür sucht Nancy Faeser (SPD) nach zeitnahen »Lösungen für Abschiebungen Schwerkrimineller und sogenannter islamistischer Gefährder nach Afghanistan und Syrien«, verkündete die Bundesinnenministerin am Donnerstag bei der Ressortkonferenz in Potsdam. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schlägt in die gleiche Kerbe, will schnellere Abschiebungen bzw. einen Sofortarrest von nicht anerkannten Asylbewerbern auch dann, wenn sie nicht straffällig geworden sind, sondern lediglich als »Gefährder« eingestuft werden.

»Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien, Deportationen nach Ruanda, die Kürzung von Sozialleistungen für Ukraine-Geflüchtete – ausgerechnet am Weltflüchtlingstag überbieten sich die Innenminister von Bund und Ländern mit perfiden Vorschlägen für eine weitere Zerschlagung von Geflüchtetenrechten«, sagte Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, am Donnerstag gegenüber jW. Damit sei ein neues Maß an ­Zynismus und Dreistigkeit erreicht, »die Debatte ist völlig enthemmt«.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (21. Juni 2024 um 10:27 Uhr)
    Wer hätte das vor Jahren noch gedacht, dass deutsche Politik, denen einst Menschenrechte über allem standen, sie von keinem in der Welt in Menschenrechtsfragen übertreffen lassen würden, dass in diesem Lande am eifrigsten über Abschiebung von Flüchtenden diskutiert und gestritten wird. Die deutschen Menschenrechtsfanatiker beweisen beeindruckend vor aller Welt, dass ihnen das Thema Menschenrechte nie etwas anderes gewesen sind als politische Waffe und zur moralischen Manipulation der Massen zur Sicherung eigener Machtverhältnisse.
    Politische Wahrheiten holen eben verlogene, politische Heuchler noch immer ein. Leidtragende sind dennoch die betroffenen Millionen Menschen auf der Flucht aus unmenschlichen Lebensverhältnissen. Dazu darf noch gefragt werden, wer die Millionen Menschen in solche Lebensverhältnisse gebracht hat und ständig neu bringt. Es sind die nächsten großen Lügen, wenn so getan wird, dass menschlichere Lösungen des Flüchtlingsproblems vom reichsten Teil der Welt nicht mehr zu leisten seien. Solange täglich Flüchtende auf Fluchtwegen, zu Tode kommen müssen, ersaufen, gewaltsam in den Tod getrieben werden, in die Meer geworfen werden wie Vieh, sie an Grenzen und Mauern verrecken müssen und übrigens die einzige und schlimmste Mauer die Berliner Mauer gewesen sei, solange ist das Gerede zumindest höchst unwürdig und unmenschlich. Solange von unmenschlichen Unterbringungen Geflüchteter zu hören ist, unwürdiger Behandlung, bürokratisierter Integration, Behinderung von Arbeits- und Lernwilligkeit wie vielen Hindernissen und fehlender Sozialisierung nicht nur über Freiwillige, so lange ist es kein Argument Menschenrechte und Asylrecht zu liquidieren. Solange der reichste Teil der Welt sich Kriege leistet wie in Afghanistan, Irak, Syrien und dann nach dem Scheitern nichts mehr von seiner Befreiung wissen will, für die Folgen nicht mehr aufkommen oder menschliche Hilfe leisten will, solange ist Abschiebepolitik nicht die erste und wichtigste, die notwendigste und bestimmt nicht die für Millionen Gewalttäter, Islamisten und Terroristen bedeutendste Frage der Flüchtlingspolitik. Mit Menschenrechten hat es zu alledem ebenso nichts zu tun, wenn eine Stimmung erzeugt wird, die Bevölkerung und Ausländerhass getrieben wird, angesichts scheinbar an jeder Ecke lauernder Messerstecher und täglicher bundesweiter Opfer. Keinen Mordorgien der NSU und anderer rechter Gewalttäter ist je so akribisch, hasserfüllt nachgegangen worden. Geordnet und kontrolliert hat Migration, Fluchtbewegung, Asylrecht zu funktionieren, was nicht heißt, es muss unmenschlich vor sich gehen.

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