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Aus: Ausgabe vom 08.07.2024, Seite 5 / Inland
Deutliches Krisensymptom

Industrieflaute hält an

Deutliches Krisensymptom: Produktion im verarbeitenden Gewerbe der BRD im Mai um 2,5 Prozent eingebrochen
Von Klaus Fischer
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Auch die Bundesregierung schraubt und zwar an der Bewältigung der Krise, die sie zum Großteil selbst verursacht hat

Frohe Botschaft trifft schlechte Nachricht: Als die Spitzen der Regierungskoalition am Freitag eine Einigung im Haushaltsstreit verkünden konnten, sparten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) nicht an Eigenlob. Die Ampel sei handlungsfähig. Mit dem Bundeshaushalt 2025 werde man ein Zeichen setzen und den »Wachstumsturbo« anwerfen, hieß es. Damit könnte die deutsche Wirtschaft um einen halben Prozentpunkt wachsen. Am selben Tag verkündetet das Statistische Bundesamt, dass die Industrieproduktion im Mai deutlich gesunken sei. Um 2,5 Prozent. Das sei »überraschend« gewesen, konnte man in den Medien lesen. Dabei stehen auch auf Jahressicht die Zeichen weiter auf Sturm, denn »im Vergleich zum Vorjahresmonat Mai 2023 war die Produktion im Mai 2024 kalenderbereinigt 6,7 Prozent niedriger«, schrieb die Behörde.

Es ist ein inzwischen gewohntes Bild. Einerseits versucht die Regierung nahezu verzweifelt, die zum Großteil selbstgemachte Krise schönzureden. Andererseits kann die bittere Realität, die insbesondere nach der von Kanzler Scholz verkündeten »Zeitenwende« offensichtlich wurde, nicht mehr glaubwürdig geleugnet werden. Die Industrie ist das Kernstück der BRD-Volkswirtschaft – und sie befindet sich spätestens seit Februar 2022 im Rückwärtsgang.

Inzwischen ist das seit der Merkel-Ära weitgehend handzahme deutsche Kapital wieder dazu übergegangen, seine Interessen auch in der Öffentlichkeit deutlicher zu verkünden. Dennoch scheuen sich Lobbyverbände und Medien immer noch, die desaströse Wirtschaftspolitik der Bundesregierung beim Namen zu nennen. Statt dessen wird um den heißen Brei herumkommentiert, auch wenn die Tonlage schärfer wird.

Die Nachricht vom Statistikamt sei »eine weitere Hiobsbotschaft von der Industrie« zitierte die Nachrichtenagentur Reuters am Freitag Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg. »Für die wichtigen Branchen Kraftfahrzeuge und Maschinenbau war der Mai kein Wonnemonat. Es scheint, als sei eine Wende zum Besseren weiter entfernt denn je. Einziger Lichtblick sind die energieintensiven Industrien, die ihrerseits aber zuvor besonders tief gefallen waren. Und was das BIP (Bruttoinlandsprodukt, auch als Wirtschaftsleistung bezeichnet; jW) angeht: Selbst die niedrigen Erwartungen für das zweite Quartal werden wohl enttäuscht werden. Die nächste Runde der Prognoseanpassungen dürfte wieder abwärts gehen. Deutschland erlebt das zweite Jahr Stagnation in Folge«, so der Ökonom.

In dieselbe Kerbe schlug Alexander Krüger, Chefökonom von der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe: »Die Produktionsentwicklung bleibt ein Trauerspiel. Es hakt an allen Ecken und Enden. (…) Da die Rahmenbedingungen nicht passen, wird die Wachstumsbremse vorerst eingeschaltet bleiben. Aufgrund fehlender Aufträge und schlechter Stimmung werden Kapazitäten wohl weiter abnehmen. Es bedarf dringend einer konzertierten Aktion von Politik und Wirtschaft.«

Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), einer der Spitzenverbände der Wirtschaft, zeigte sich enttäuscht: »Die Industrieproduktion erhält einen neuen Dämpfer und fällt auf den niedrigsten Wert seit der Coronapandemie im Sommer 2020«, wurde DIHK-Außenwirtschaftsexpertin Melanie Vogelbach auf der Webseite des Verbandes zitiert. »Vor allem der Maschinenbau und die Automobilindustrie verzeichnen erhebliche Rückgänge. (…) Auch von der robusten Weltkonjunktur profitiert die deutsche Industrie derzeit nicht.« Mit einem baldigen Aufschwung sei »erst einmal nicht zu rechnen«, so Vogelbach weiter. »Dringender denn je braucht die Industrie jetzt ein positives Aufbruchssignal.«

Von der gegenwärtigen Bundesregierung ist ein solches Signal nicht zu erwarten. Das beweist nicht zuletzt der weiter andauernde Streit um den Haushalt. Trotz der am Freitag verkündeten Einigung beharren Teile der Koalitionsfraktionen auf weiteren Korrekturen, der Rücknahme von Kürzungen oder verlangen schlicht eine deutlichere Aufstockung des Verteidigungsetats. Doch das Steueraufkommen Deutschlands setzt der Politik Grenzen, ebenso wie der Spielraum für die von der Verfassung legitimierten Neuverschuldung. Der für 2025 vorgesehene Bundeshaushalt von 481 Milliarden Euro stellt zwar alles in den Schatten, was andere EU-Staaten mobilisieren können. Aber einen Turbo für die Wirtschaft zu betreiben ist letztlich nicht Sache der Politik, sondern des Kapitals. Das allerdings hält sich zurück, flüchtet zusehends ins Ausland oder erklärt schlicht die Insolvenz.

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (8. Juli 2024 um 10:22 Uhr)
    Mal wieder nur viel Geschwätz mit wenig Aussage. Als ob John Maynard Keynes mit »Deficit Spending« so etwas wie ständig steigende »Dauerverschuldung« gemeint hätte. Aber systemische Ursachen von chronischen Problemen zu benennen, gilt in diesem Land ja schon lange als pure Blasphemie. Also weiter salbungsvoll quatschen und nur noch verschlimmbessern! Das Resultat lässt sich jetzt schon in Frankreich besichtigen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (7. Juli 2024 um 22:53 Uhr)
    Besorgniserregend ist, wenn man die Realität nicht erkennt oder nicht erkennen will. Doch genauso sieht die politische Lage in Europa derzeit aus. Italien ist seit längerem geschwächt, und nun trifft es Frankreich, das sowohl in Afrika als auch im eigenen Land durch Reformschwäche ermattet ist. Sollte nun auch Deutschland in den Abschwung geraten, dann gute Nacht EU. Das Spiel beginnt von neuem, jedoch unter ungünstigeren geostrategischen Bedingungen für Europa und auch für Deutschland.