»Die Stadt verkauft, was ihr nicht gehört«
Interview: Barbara Eder![imago0243105771h.jpg](/img/450/197085.jpg)
Sie sind Mitbegründer der Volksinitiative »Hamburg Werbefrei«, die sich für weniger Außenwerbung in der Stadt einsetzt. Warum sind Ihnen Werbeanlagen im öffentlichen Raum ein Dorn im Auge?
Ich finde es ungerecht, dass Menschen, die sich im öffentlichen Raum bewegen, ununterbrochen Werbung rezipieren müssen. Anders als bei Werbeformen in Print, Online, TV oder Radio kann man sich dieser nicht entziehen. Die Stadt Hamburg schließt ohne Zustimmung der Hamburgerinnen und Hamburger Verträge mit Werbefirmen wie Ströer und Wall Decaux ab – und verkauft damit etwas, was ihr eigentlich nicht gehört: Aufmerksamkeit.
In welcher Weise profitiert die Stadt Hamburg davon?
Der Senat unterhält Werberechtsverträge mit unterschiedlichen Firmen. Diese bringen zum einen Geld, zum anderen stellen die Unternehmen Bushaltestellen und andere Bestandteile der öffentlichen Infrastruktur zur Verfügung. Es ist undemokratisch, das miteinander zu vermischen. Das ist Public Private Partnership und führt unweigerlich zur Korrumpierung von Politik und Verwaltung.
Sie kritisieren insbesondere digitale Werbeanlagen. Was macht diese so verheerend?
Die Herstellung der Monitore benötigt enorme Ressourcen und der laufende Betrieb erfordert viel Energie. Ein sogenanntes Digital City Light Board, welches sich an vielen Kreuzungen in Hamburg befindet, verbraucht 40.000 Kilowattstunden pro Jahr. Das entspricht ungefähr 25 Einpersonenhaushalten. Zudem sind animierte und bewegte Werbeinhalte kaum zu ignorieren, wie eine Eye-Tracking-Studie der Werbewirtschaft belegt. Sie erzwingen die Aufmerksamkeit der Betrachter und setzen auf den sogenannten mere exposure effect: Je öfter man eine Marke sieht, desto positiver ist man ihr gegenüber eingestellt. Man könnte das auch als Gehirnwäsche bezeichnen – unter anderem für den Kauf von Alkohol, ungesunden Lebensmitteln, Glücksspiel, unseriösen Geldanlageformen und klimaschädigenden Produkten.
Zudem überschreiten viele digitale Werbeanlagen die vom Bundesamt für Naturschutz festgelegten Grenzwerte für Lichtemissionen um ein Vielfaches. In der Innenstadt liegen diese bei 300 Candela pro Quadratmeter, außerhalb davon bei 500 Candela. Die Werbeindustrie argumentiert damit, dass Außenwerbung die Stadt heller mache und dadurch die gefühlte Sicherheit erhöhe – das Gegenteil ist jedoch der Fall: Helle Plakatflächen führen dazu, dass nicht beleuchtete Flächen in der menschlichen Wahrnehmung um so dunkler erscheinen. Die Lichtemissionen haben negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt und tragen zur Lichtverschmutzung bei.
Was soll das von »Hamburg Werbefrei« vorgelegte »Werberegulierungsgesetz« konkret bewirken?
Dem Gesetz zufolge wären digitale Werbeanlagen in Hamburg nicht länger zulässig. In Zeiten von Klimakrise und Energieknappheit ist es irrsinnig, die Stadt mit Werbemonitoren zuzustellen – und damit zu einem Lifestyle mit permanentem Überkonsum anzuregen. Unserem Gesetz zufolge gäbe es nur noch nicht digitale Werbeflächen in kleinerem Format und die Hälfte davon müsste für Veranstaltungshinweise zur Verfügung stehen.
Am vergangenen Freitag fand am Hamburger Landesverfassungsgericht die Verhandlung über die Zulässigkeit des Gesetzes statt. Das Urteil wird am 6. September 2024 verkündet. Wie geht es weiter?
Nachdem wir 2022 die erforderliche Mindestanzahl von 10.000 Unterschriften gesammelt haben, hätte die Hamburger Bürgerschaft unseren Entwurf annehmen können, tat dies aber nicht. Statt dessen hat der Senat das Landesverfassungsgericht angerufen und argumentiert, der Gesetzentwurf verstoße gegen die Verfassung. Falls aus »Hamburg Werbefrei« ein Volksbegehren werden darf, können wir in die zweite Sammelphase gehen. Dafür braucht man die Unterschriften von fünf Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung. In Hamburg sind das etwa 70.000 Menschen. Wir freuen uns schon jetzt über die Unterstützung vieler Hamburgerinnen und Hamburger, die die Werbeflut so unerträglich finden wie wir.
Martin Weise ist Mitinitiator der Volksinitiative »Hamburg Werbefrei«
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