Aufwind trotz Rückschlag
Von Luc Śkaille, ParisMit dem Wahlsieg des Linksbündnisses Nouveau Front Populaire (NFP), das 183 Abgeordnete in das französische Unterhaus entsendet, ist die Gefahr einer absoluten Parlamentsmehrheit der Rechten vorerst gebannt. Doch die wachsende Popularität des extrem rechten Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen sorgt nicht nur in Frankreich für Unbehagen. Während sich alle Blicke auf die unmöglich scheinenden Koalitionsperspektiven in Paris richten, schmieden europäische Rechtsaußenparteien eine neue Allianz im EU-Parlament – mit dem RN an der Spitze.
Erstmals in der Geschichte der Fünften Republik bestand die konkrete Option, dass die Le-Pen-Dynastie in Paris nach der Macht greift. Die von Macron im Juni beschlossene Blitzwahl wurde von Beobachtern letztlich aber vor allem als Absage an den Rassemblement National interpretiert. RN konnte im zweiten Wahlgang allerdings rund 8,8 Millionen Stimmen auf sich vereinen, während das Linksbündnis nur rund sieben Millionen Stimmen erhielt. Nur dank des französischen Wahlsystems kam der NFP zu seinem unerwarteten Sieg. Die Macronisten des präsidialen Wahlvereins Ensemble erhielten rund 6,3 Millionen Stimmen.
Beim RN reichte es unterm Strich nur für den dritten Platz und reihenweise Anhänger der Rechtsaußenpartei sehen, wie Videos der Wahlabende zeigen, vor allem »Betrug« und »Verschwörung« am Werk. Dennoch kann die Partei mit 126 statt bisher 88 Abgeordneten einen beachtlichen Zuwachs an Sitzen verzeichnen. Die Rassisten haben ihre Saat über Jahrzehnte besonders in den ländlichen Gegenden gedeihen lassen. Die waren wohl gedüngt mit zunehmender Prekarisierung und mitwachsenden Zukunftsängsten. Dazu kam eine Modernisierung des nationalistischen Diskurses. Propagandaplattformen etwa des rechten Medienmoguls Vincent Bolloré begünstigten die Entwicklung.
Da der RN nun wohl noch einige Jahre auf mehr Wirkmacht in Paris warten muss, hat der Sieg des Parteivorsitzenden Jordan Bardella bei den EU-Wahlen vom 9. Juni nachträglich neue Bedeutung bekommen. Für die mindestens in Teilen faschistische Vernetzung, die europaweit stattfindet, wird der RN als Schwergewicht in die von Viktor Orbán aus der Taufe gehobene EU-Fraktion »Patrioten für Europa« eintreten. Die in Wien verkündete Neugründung dürfte die drittgrößte Gruppierung im EU-Parlament werden. Ihre Beteiligung angekündigt haben die österreichischen FPÖ, Orbáns Fidesz, die tschechische ANO 2011, Gerd Wilders’ Partij voor de Vrijheid, die italienische Lega, die spanische Vox, die belgisch-flämische Vlaams Belang und die dänische Folkeparti.
Wenn es um die EU-weite Vernetzung geht, gelingt es Teilen der europäischen Rechten offenbar, zahlreiche Differenzen beiseite zu stellen. Die Vereinigung der radikalen Nationalisten Europas versteht sich als »kulturelle Revolution«. Konsens sind Antimigrationspolitik, EU-»Skepsis« und die Forderung nach einem Ende der Militärhilfen für die Ukraine bei gleichzeitiger Forderung nach einer umfassenden Aufrüstung der nationalen Streitkräfte. Führungspersonal aus dem imperialistisch wichtigen Paris kommt der rechten Allianz wie gerufen. Der ehemalige Front National von Le Pen kultiviert seit Jahrzehnten eine Haltung, die die liberalen Gegner oft als »prorussisch« zu diskreditieren versuchten. So finanzierte der RN seine Wahlkämpfe zuletzt besonders mit Anleihen aus Russland. Doch Le Pen sucht mittlerweile die Nähe zum NATO-Lager im Establishment, auch mit Blick auf ihr italienisches Pendant, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia), die es durch moderateres Auftreten auf die Regierungsbank in Rom schaffte.
Der als äußerst parlamentsscheu geltende RN-Chef Bardella erhielt mit seiner Inthronisierung als Anführer der »Patrioten für Europa« am Montag einen Trostpreis, dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte. Die organisatorischen Fortschritte seiner Partei und der extrem rechten Formierungen in Europa scheint derzeit kaum etwas stoppen zu können. Für einen Umbruch in Frankreich im Sinne des RN genügte es dieses Mal nicht. Und während Europas Faschisten sich im Großen neu formieren, wird die Linke mehr Klarheit an den Tag legen müssen, will sie bis 2027 eine Machtübergabe an Le Pen und Co. verhindern. In Frankreich und europaweit.
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