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Aus: Ausgabe vom 24.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Theorien über die Mistgabel

Peter Hacks’ klassische Aufklärungsverteidigung »Ascher gegen Jahn« in einer neuen Ausgabe
Von Marie Hewelt
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»Nicht jeder Guerillero ist ein Freiheitskämpfer, auch Basmatschen schießen aus Hecken« – Peter Hacks

Als die DDR in Auflösung begriffen ist, macht sich der Dichter Peter Hacks daran, einen vergessenen Aufklärer der ­Goethe-Zeit aus der Versenkung zu holen. Hacks’ Position in und zur späten DDR spielen sowohl bei der Wahl seines Gegenstands eine Rolle, als auch bei der Art, wie er ihn behandelt. Die Zeit, über die Hacks in »Ascher gegen Jahn« schreibt, ist ebenso vielschichtig wie die Zeit, in der er schreibt. Soeben hat der Aurora-Verlag in der Reihe »Kommentierte Werke in Einzelausgaben« eine Neuauflage des Bandes veröffentlicht. In kurzen Passagen scheint Hacks’ Staatsverständnis auf, eine zu beiden Umbruchzeiten passende, entscheidende Frage. »Aber was der Staat nicht regelt, regeln andere«, behauptet Hacks und stellt dar, dass das »Absterben des Staats«, wie es in der marxistischen Theorie heißt, nur durch dessen Vervollkommnung, nicht durch Entkräftung erreicht werden könne.

Seinem Lieblingsgegner, der Romantik, unterstellt Hacks eine genau umgekehrte Einstellung zum Staat. Die Romantiker wollten Revolution nur, um den Staat zu schwächen, und wendeten sich gegen die (Französische) Revolution, als sie erkennen, dass sie die Zentralmacht nicht schwächen, sondern stärken würde. Die Aufsässigkeit und das revolutionäre Gehabe von Romantikern mache sie nicht zu Revolutionären. Auch aus aktuellem Anlass sei an Hacks’ Unterscheidung erinnert: »Nicht jeder Guerillero ist ein Freiheitskämpfer, auch Basmatschen schießen aus Hecken.«

In »Ascher gegen Jahn«, das aus den Essays »Einer von meinen Leuten. Das Buch Ascher« von 1988 und »Hauptsächliche Nebenpersonen« von 1989 besteht, finden sich Klassik und Romantik personifiziert. Als Kontrahenten stehen sich gegenüber: Saul Ascher (1767–1822) auf der Seite der Klassik und der »Turnvater« Johann Friedrich Ludwig Christoph Jahn (1778–1852) auf der Seite der Romantik. Hacks stellt einen jüdischen Aufklärer und einen judenhassenden Deutschtümler gegeneinander, also einen Mann, der »gegen die Mistgabel ficht (…) mit Theorien über die Mistgabel« und einen Mann »von wenig Bildung und gar keinem Verstand«. Jahn ist für Hacks ein Prototyp des Nationalisten, dem »alle nationalistischen Scheusale nach ihm« ähnlich sind. Viele kennen den Namen des »Turnvaters« oder »Turnwüterichs« (Marx) Jahn, Ascher dagegen wird den meisten unbekannt sein.

Ascher, »ein Mann vom Range Lessings und Hegels« (Jochanan Trilse-Finkelstein) wurde so konsequent aus der (deutschen) Geschichtsschreibung herausgelassen, dass eine Wiederentdeckung durch Hacks erst notwendig wurde. Vielleicht wäre er ganz vergessen worden, hätte Heinrich Heine ihn nicht in seiner »Harzreise« erwähnt. Dass Ascher in Vergessenheit geriet, ist nach Hacks weder verdient noch ein Zufall, sondern Unrecht. »Ascher geriet nicht in Vergessenheit, er wurde in sie verbracht.« Sechs Generationen von Literaturwissenschaftlern, Geschichtsschreibern und Philosophen hätten sich um seine Auslöschung bemüht. Hacks kämpft mit den beiden Essays und der Herausgabe einiger seiner Schriften um Aschers Platz in der Geschichte.

Dieser Platz ist unter anderem durch Schriften zur Staatstheorie und zum Judentum, durch Übersetzungen zu Abolitionismus und politischer Ökonomie erarbeitet. 1817 wird Aschers Buch »Germanomanie« auf dem Wartburgfest verbrannt, weil er sich darin positiv über die Französische Revolution und gegen den aufkommenden Nationalismus und Antisemitismus der »Germanomanen« äußert. Es wird also genau das Buch verbrannt, in dem Ascher warnt, die deutschen Nationalisten würden den Judenhass als Zündstoff für ihre Bewegung gebrauchen: »(U)m das Feuer der Begeisterung zu erhalten, muss Brennstoff gesammelt werden, und in dem Häuflein Juden wollten unsere Germanomanen das erste Bündel Reiser zur Verbreitung der Flamme des Fanatismus hinlegen.« Nicht nur die bücherverbrennenden Studenten hat Ascher laut Hacks gegen sich aufgebracht, sondern alle: Katholiken, Protestanten und Juden; Junker und Kleinbürger. Nur »der monarchistische Beamtenapparat« und die Marxisten hätten Ascher gerade so ertragen können.

Gegen die jahnähnlichen nationalistischen Scheusale, von denen es weiterhin wimmelt, gegen Antisemitismus und rechte wie linke Staatsfeindlichkeit lohnt es sich, die in Vergessenheit verbrachten Ascher und Hacks zu lesen. Für das Verständnis der Texte sind in der vorliegenden Ausgabe der Kommentar von Sebastian Kaep und das Nachwort von Detlef Kannapin und Hannah Lotte Lund hilfreich.

Peter Hacks: Ascher gegen Jahn. Ein Freiheitskrieg. Mit einem Nachwort von Hannah Lotte Lund und Detlef Kannapin. Hrsg. v. Sebastian Kaep. Aurora-Verlag, Berlin 2024, 192 Seiten, 12 Euro

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  • Leserbrief von Lisette Buchholz aus Mannheim (25. Juli 2024 um 10:05 Uhr)
    Wie schön, dass Marie Hewelt an Saul Ascher erinnert. Er ist nicht der einzige, an dessen Entfernung aus der Geschichte fleißig gestrickt wurde. Ich empfehle den Band »Jüdische und christliche Intellektuelle in Berlin um 1800«, hg. von Berghahn, Lifschitz und Wiedemann (Wehrhahn-Verlag 201). Eine Fundgrube!

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