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Aus: Ausgabe vom 24.07.2024, Seite 11 / Feuilleton
Film

Aufhören verboten

Dem Filmemacher Lothar Lambert zum 80. Geburtstag
Von Matthias Reichelt
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Lothar Lambert zweimal auf der Couch im Schwulen Museum Berlin (2014)

Lothar Lambert dreht seit seinem 27. Lebensjahr unermüdlich Filme. Mit dem Kurzfilm »Kurzschluss«, zusammen mit seinem Kollegen Wolfgang Zobrus 1971 in der Weddinger Luisenstraße auf 16 Millimeter in Schwarzweiß gedreht, fing alles an.

Weshalb in die Ferne schweifen, wenn das Interessante liegt so nah, hatten sich die beiden gedacht und kurzerhand ihre Nachbarn, ein Ehepaar aus dem subproletarischen Milieu, zu Protagonisten der 18minütigen Arbeit gemacht. Fast dokumentarisch, aber mit eingestreuten fiktionalen Elementen, enthält »Kurzschluss« bereits die für Lambert typischen Ingredienzen mit Stadtansichten des kaputten Westberlins. Wichtige Themen hier: die unerfüllte Sehnsucht nach Liebe und die Suche nach sexueller Erfüllung, gezeigt am Beispiel eines heterosexuellen Paares. In späteren Filmen Lamberts findet sich die ganze Palette sexueller Orientierungen – verbunden mit einer Kritik an einer heteronormativen Gesellschaft, ohne jedoch die Kritik missionarisch verbrämt zu transportieren.

Lambert denunziert seine Figuren nicht, er zeigt sie lieber in brisanten Lebens- und Liebesnöten, mitunter ironisch, gezeichnet mit liebevollem Humor. In allen seinen Filmen plädiert er dafür, dass jeder, unabhängig von Geschlechtsorientierung, Hautfarbe, Ethnie und Herkunft, nach seiner Fasson glücklich werden möge. Diese Botschaft wird mit viel Lebensfreude und angenehm unideologisch rübergebracht. Ein entspannter Ansatz angesichts harter Fronten im Genderkampf der Gegenwart.

Heute, 53 Jahre bzw. 40 Filme später, kann Lambert auf ein großartiges Werk zurückblicken. Gefeiert wird es in der von dem Filmhistoriker Jan Gympel liebevoll gestalteten Retrospektive »LoLa DaBei« mit Filmen von Dagmar Beiersdorf und Lothar Lambert, zu bewundern in vier Berliner Kinos und noch bis in den September hinein. Beiersdorf und Lambert, beide Jahrgang 1944, haben sich in ihren Filmen gegenseitig schauspielerisch und dramaturgisch unterstützt, sind einander in langjähriger Freundschaft verbunden.

Noch etwas: Lambert, der öfter schon angekündigt hatte, seinen letzten Film gedreht zu haben, ist zur Freude der Fangemeinde rückfällig geworden. Kurz vor seinem 75. Geburtstag hatte er in einem Interview erzählt: »Jetzt habe ich den 40. Film gemacht und werde 75, genau richtig, um die Sache zu beenden, denn ich bin körperlich nicht mehr der fitteste, und viele Darsteller sind schon gestorben.« Glücklicherweise unterschätzte er seinen »Charme mit Berliner Note« und die Neugier auf Menschen und ihre Geschichten, die ihm neue Mitglieder für seine so rührige wie auch treue Darstellerfamilie zuführten.

Und wenngleich er in den vergangenen Jahren auch keine regulären Spielfilme mehr drehte, widmete er sich doch in hinreißenden Porträts einzelnen Mitgliedern der sogenannten Lambert Family. Dabei kombiniert er im Schnitt weggefallene Szenen mit neue gedrehten Szenen zu Kompilationen, die er einer typischen Lambert-Dramaturgie unterwirft. So auch der neueste Wurf, sein 42. – der sehr kurzweilige Film »Vornerum, Hintenrum« (2024), der am 8. September im Bundesplatz-Kino in Berlin-Wilmersdorf Premiere feiert.

Lothar Lambert, dessen Filme oft auf der Berlinale gezeigt wurden, erhielt in diesem Jahr für sein Lebenswerk den verdienten Teddy-Award. Am Mittwoch, dem 24. Juli, wird er 80. Wir wünschen uns von ihm ­viele weitere Filme, denn: »Aufhören ist verboten!«

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